Was wäre der Reitsport ohne ihn: Paul Schockemöhle wird 75!
Nicht nur beim Hamburger Derby. Er sieht immer, wo er selbst Hand anlegen muss: Paul Schockemöhle Foto: spring-reiter.de

Was wäre der Reitsport ohne ihn: Paul Schockemöhle wird 75!

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Eigentlich wollte er seinen Geburtstag weit weg bei der Sunshine Tour im spanischen Vejer de la Frontera verbringen. Bloß kein großes Stehrumchen mit fein gehaltenen Champagner-Gläsern und ebensolchen Reden. Aber nun wird das nichts mit der Sunshine Tour wegen des Coronavirus – aber auch nichts mit dem Champagner-Empfang. Denn der, um den es geht, hat andere Vorlieben:

Paul Schockemöhle wird an diesem Sonntag 75 Jahre alt.

Wenn es abends mal ein offizielles Essen gibt, an dem er teilnehmen muss, kann es passieren, dass er noch vor dem Dessert den Stuhl leise nach hinten rückt und möglichst unauffällig verschwindet. Meistens an die Lewitz zu seinen Pferden. Aus einem DDR-Mastbetrieb hat er die größte und erfolgreichste Pferdezucht der Welt aufgebaut. Zielstrebig, nach strengsten Selektions-Kriterien und ohne jeden Schnickschnack. Nicht einmal baulich. „Kleinen Resthof“ nennt er selbst das Areal von rund 3.000 Hektar mit etwa 3.000 Pferden. „Ich brauche kein Schloss“, hat er einmal gesagt. Im Gegenteil: Wenn er auf seinem Gestüt Lewitz übernachtet, schläft er im Container.

Alles, was er ist und besitzt, hat er sich selbst aufgebaut. Der ältere Bruder Alwin, mehrfacher Goldmedaillen-Gewinner und Doppel-Europameister, hatte – wie es das Anerbenrecht vorsieht – den elterlichen Hof im Oldenburger Land übernommen. Der jüngere Paul baute, während Alwin um Medaillen ritt, Hühnerställe und verdiente mit Hühnern und Eiern seine erste Million.

Denn wenn Paul etwas in Angriff nimmt, dann macht er es gründlich und letztlich erfolgreich. Egal ob es sich um Hühnerei-Produktion handelt, um ein Logistik-Unternehmen oder ums Reiten. 1976 gewann er mit Bruder Alwin gemeinsam Olympia-Silber in Montreal. Aber dreimal hintereinander mit demselben Pferd, Deister, Europameister zu werden: Das hat ihm noch keiner nachgemacht.

Was wäre der deutsche Springsport ohne den Ausbilder Paul Schockemöhle. Franke Sloothaak ist genauso durch seine Schule gegangen wie Ludger Beerbaum, Otto Becker wie Meredith Michaels-Beerbaum.

Inzwischen muss man zusätzlich fragen: Was wäre die internationale Spring-Elite ohne den Züchter Paul Schockemöhle. So legendär wie einst beim Fußball-Weltmeister-Trainer Sepp Herberger das Notizbuch war, so legendär ist heute die Karteikarten-Sammlung von Paul Schockemöhle. Jede seiner Nachzuchten hat eine Karte, auf der alles Wichtige notiert ist.

Und ansonsten, der Tag hat schließlich 24 Stunden: „Paul“, wie er sich mit sonorer Stimme knapp am Telefon meldet, hat die Bemer Riders Tour erfunden und sie zum Erfolg gemacht, ist gemeinsam mit Ehefrau Bettina Turnierveranstalter, trainiert bei Bedarf eine ganze Bandbreite, die von der japanischen Nationalmannschaft bis zum ukrainischen Oligarchen Oleksandr Onyschtschenko reicht.

Da kann es dann schon mal passieren, dass eigene Bereiter nicht sofort präsent sind. Andreas Kreuzer, der irgendwann Paul Schockemöhles Lieblingshengst Chacco-Blue reiten durfte und einen Erfolg nach dem nächsten mit diesem viel zu früh gestorbenen Ausnahmeathleten aneinander reihte, erinnert sich an die gemeinsamen Anfänge jedenfalls immer noch mit einem Grinsen: Für eine Demonstration habe er ein Pferd vor Publikum geritten und Paul habe die ganze Zeit Englisch mit ihm gesprochen. „Der wusste in dem Moment gar nicht, dass ich sein Bereiter war.“

Der deutsche Reitsport hat ihm unendlich viel zu verdanken. Herzlichen Glückwunsch, Paul Schockemöhle!