„Wenn ich etwas mache, dann zu 100 Prozent!“ – Interview mit dem Senkrechtstarter der Weltrangliste, Christian Kukuk!

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War das eine Überraschung! Christian Kukuk kann es noch immer kaum glauben. Auch wenn er es längst schriftlich hat. Vielleicht hat sich ja doch jemand verrechnet. Zu seinen Gunsten:  In diesem Monat schoss der Bereiter der Ludger Beerbaum Stables  von Platz 30 auf  Platz 18 der Longines FEI Weltrangliste nach oben. Damit ist der 31jährige  hinter dem Weltranglistenzweiten Daniel Deusser derzeit der international zweiterfolgreichste deutsche Springreiter. spring-reiter.de hat Christian Kukuk zum ausführlichen Interview getroffen. Sehr offen und emotional  erzählt der Bayern-München Fan, der eigentlich Profi-Fußballer werden wollte und regelmäßigen Kontakt zu Fußball-Star Thomas Müller pflegt, wie es zu dieser Erfolgsstory kommen konnte. Vom ersten mutigen Anruf bei Ludger Beerbaum bis zum Einzug in die Top-20 der Weltspitze.

„Wir hatten gerade ein Meeting, Ludger, Philipp, Eoin und ich habe zusammengesessen und ein paar Dinge geplant. Plötzlich habe ich eine Nachricht von meiner Schülerin Noora Forsten bekommen. Sie hat geschrieben: Hey,  Glückwunsch zum World Ranging Nummer 18“, erzählt Christian Kukuk immer noch sichtlich überrascht. Er dachte an einen Scherz.  „Noora  hat mir  direkt die neue Weltrangliste geschickt. Dann habe ich da drauf geguckt und dachte, wow, da muss sich ja irgendeiner verrechnet haben. Das kann ja nicht sein. Wie kann ich da denn jetzt so ein Sprung gemacht haben?“, wunderte sich Kukuk unverändert.  Auch wenn sich alles bis heute noch irgendwie unwirklich anfühlt –  Christian Kukuk freut er sich über die neue Top-Position 18 und ist  ein bisschen stolz.  Auch wenn er nicht zu Gefühlsausbrüchen neigt, eher der zurückhaltende, ruhige und reflektierende Typ ist.

2021 war sein bisher sportlich erfolgreichstes Jahr. Siegreich im Nationenpreis in Sopot, Nominierung und Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio, Mannschafts-Silber-Medaille bei der Europameisterschaft in Riesenbeck und 4. Platz Im Einzelfinale der EM. Vordere Platzierungen in den  Weltcup-Etappen in Oslo und Verona. Ein Jahr mit vielen Höhen, aber auch Tiefen.

„Wenn ich Weihnachten mit der Familie zusammensitze und einen Strich drunter mache, sage ich sicher, es war mein erfolgreichstes Jahr, aber auch ganz sicher eines der schwersten Jahre. Alles war sehr emotional. Da sind viele Sachen in diesem Jahr auf mich zugekommen, die ich ja so noch nie hatte. Da war Olympia in Tokio, der Qualifikationsdruck, der dahinter steckt und den man sich natürlich auch selber macht, weil man da hin will. Dann das Championat an sich, ich hatte vorher noch nie eines geritten. Dann ein paar Wochen später die Europameisterschaft zu Hause in Riesenbeck. Wieder mit der Ungewissheit, ist man jetzt dabei, ist man nicht dabei.“

Er war dabei und wie!  Eine Achterbahnfahrt der Gefühle inklusive.  „Mein Ziel war immer, unter die besten 25 im Finale am Sonntag zu kommen. Und als Mannschaft wollten wir natürlich eine Medaille. Am Ende sind wir mit dem Team knapp an Gold vorbei und haben eine Silber-Medaille gewonnen. Das war eine tolle Sache. Wirklich. Danach war ich im Einzel-Finale, und eigentlich hatte ich damit ja schon das erreicht, was ich mir als Ziel gesetzt hatte. Aber wenn man am Ende so weit kommt, will man natürlich auch mehr. Und dann war ich Vierter in der Einzelwertung. Ich war, ehrlich gesagt, am Boden zerstört am Sonntagabend. Ich konnte mich gar nicht über Platz vier freuen. Ich habe sehr mit mir selber gehadert. Ich hatte zwei Springfehler in der ganzen Woche. Die habe ich mir auch wirklich selber auf die Schulter gebunden. Das hätte ich einfach vermeiden können, das war mein Fehler, und darum wurde es Platz vier“, analysiert Kukuk selbstkritisch. 

Da half es im ersten Moment auch nicht, dass Freunde und Kollegen ihm zu seinem Erfolg gratulierten, ihm sagten, wie knapp er am Ende hinter dem Drittplatzierten Peder Fredricson lag und dass er einen super Job gemacht hatte. „Ich war mit mir selber einfach nicht im Reinen“, erinnert sich Kukuk heute. Und erzählt,  wie er sich zunächst tagelang zurück zog, sich einigelte. „In diesen emotionalen Momenten ist es nicht ganz einfach, mit mir zu sprechen. Dann muss man mich schon kennen und ein bisschen Fingerspitzengefühl haben. Wie meine Schwester. Sie hat auch in Tokio alles miterlebt und weiß genau, ok, jetzt braucht er seine Zeit. Bis er am Ende wieder darüber sprechen kann.“

Nach vier, fünf Tagen ließ die Enttäuschung zum Glück nach und auch Christian Kukuk konnte die EM für sich als das verbuchen, was sie war – ein gelungenes und erfolgreiches Championat.  Schließlich hatten seine Runden maßgeblich dazu beigetragen, dass die Mannschaft Vize-Europameister wurde. Am Ende war er dann sogar zweitbester Deutscher (Andre Thieme wurde Europameister) in der Einzelwertung.  Und er konnte endlich Milde mit sich walten lassen:  „Lass mal die Kirche im Dorf. Das war eine gelungene Sache“, sagte er sich schließlich auch selbst.

Heute ist es fast überraschend, dass der Spitzenreiter lange immun gegen das Pferde-Virus war.  „Ich wollte immer Fußballspieler werden, spielte erfolgreich im Verein“, lacht Kukuk, der schon seit ewigen Zeiten ein riesiger Bayern München Fan ist.  Weil seine Eltern und die Schwester aber ritten, musste er immer mit in den Stall. „In unserer Familie drehte sich alles um Pferde“, erinnert sich Kukuk heute.  Um die Zeit im Stall totzuschlagen, nahm er seinen Fußball mit.

Und dann „infizierte“ er sich doch: Mit 13 Jahren begleitete er den Vater öfter zu Turnieren und half ihm, wenn er selber kein Fußball-Turnier hatte. Irgendwann fing er an, sich mit den Sport auseinanderzusetzen, die Runden seines Vaters zu analysieren.  „ Warum macht er das  jetzt so, hätte er das nicht besser anders machen können. Und dann wollte ich nicht mehr nur zusehen, sondern es selber versuchen.“  Er fing mit Longen-Stunden bei seiner Mutter an.  „Schnell musste ich feststellen, dass das Ganze doch nicht so einfach ist“, gibt Christian Kukuk heute schmunzelnd zu.

Der Ehrgeiz packte ihn.  „ Wenn ich etwas mache, dann zu 100 Prozent“, stellt Christian Kukuk klar, ein Satz der häufiger in unserem Gespräch fällt.  Am Ende musste er sich entscheiden. „Gehe ich Fußball spielen, oder reite ich.“ Und so hängte er die Fußballschuhe an den Nagel.

Als er seine Eltern damit konfrontierte, dass er das Reiten auch zum Beruf machen wollte, stieß das zuerst allerdings auf wenig Gegenliebe. Kukuk machte sein Abitur und hängte nach einem Kompromiss mit den Eltern  noch eine Lehre als Industriekaufmann in einer großen Fleischwarenfabrik hinten dran. Zuhause hoffte man, er würde anschließend studieren. Aber Christian hatte andere Pläne. „Ich habe meinen Eltern  gesagt, wenn ich irgendwohin gehe, dann zu Ludger. Das war immer mein Vorbild.“  Ein kühner Wunsch. Schließlich war Christian Kukuk bis dahin weder im Kader noch hatte er sich sonst schon einen Namen im Springsattel gemacht.

 „Ich habe junge Pferde auf nationalen Turnieren geritten, war ein totaler No Name.“  Mutig griff er zum Telefon und rief Ludger Beerbaum persönlich an, schilderte ihm seine Situation.  Es half vielleicht, dass der Vierfach-Olympiasieger den Namen Kukuk kannte, da Christians Mutter damals beim DOKR arbeitete und u.a. die Nennungen für Beerbaum bearbeitete.  „Er war total offen, hat gesagt, dann komm doch mal vorbei. Das habe ich gemacht, wir haben zehn Minuten gesprochen. Vorreiten musste ich  nicht. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob er sich Videos angeguckt hatte. Oder sich einfach gedacht hat, wird er wohl schon können“, rätselt Kukuk immer noch.

Das alles ist im Februar 2022 zehn Jahre her. 2012  hat er im Stall Beerbaum mit dem Bereiten und Vorstellen junger Turnier-Pferde angefangen.  Und als die ersten Erfolge kamen, waren auch seine Eltern überzeugt. „Die waren stolz wie Oskar“, erinnert sich Kukuk. Zum Glück hat auch seine Mutter den kometenhaften Aufstieg ihres Sohnes noch mitbekommen. Sie kam oft zu den Turnieren,  „war ein riesen Fan“. Vor vier Jahren ist sie gestorben.

Für Kukuk hat sich seit den Anfängen bis heute alles verändert:  „Als die Nummer 18 in der Weltrangliste gibt es kein Turnier mehr, wo ich betteln muss, um da mitreiten zu können.“ 18 Pferde hat er mittlerweile im Stall Beerbaum „auf seiner Liste“. Darunter auch Pferde seiner zwei Schülerinnen, der Finnin Noora Forsten und der Tochter des Bundestrainers Otto Becker, Mia Becker. „ Ich fange morgens um acht Uhr an, bin so um 17 Uhr fertig. Wenn an einem Tag kein Training mit den Schülerinnen ansteht, reite ich acht Pferde am Tag“, fasst Kukuk seinen Tagesablauf zusammen.

Sein Favoriten im Stall sind der neunjährige „unerschrockene und selbstbewusste“ Hengst Mumbai (v. Diamant de Semilly), der seine Qualität als Championats-Pferd bewiesen hat, aber auch der „sensible“ Checker, der sich in dem ersten gemeinsamen Jahr extrem entwickelt hat, findet Kukuk. Die Mäzenin Madeleine Winter-Schulze und Bayern München-Star Thomas Müller haben den Comme if Faut-Sohn von Otto Becker erworben. Dabei ist Thomas Müller nicht nur stiller Teilhaber.  „Ich glaube, er sitzt immer vor ClipMyHorse. Und wir schreiben uns dann auch regelmäßig“, verrät Kukuk.  Der Fußballer ist nicht erst durch seine sehr erfolgreich in der Dressur startende Frau Lisa ein Pferde-Fan mit eigener Zucht. „Er hat wirklich Ahnung, hat sich reingedacht in den Sport. Er weiß, wovon er redet. Und er ist einfach auch Profi-Sportler und weiß, wie das ist, weiß auch, dass mal was schiefgehen kann. Er kann die ganzen Höhen und Tiefen super einschätzen und nachvollziehen“, freut sich Kukuk über die Partnerschaft auf Augenhöhe.

Insbesondere weil man auch im Reitsport nur als Team gewinnen kann. Horsemanship ist daher auch für Kukuk total wichtig: „Man muss sich wirklich mit dem Pferd auseinandersetzen. Es ist kein Ball, gegen den man tritt. Und den man, wenn es nicht läuft, in die Ecke schmeißt. Man muss sich Gedanken machen. Was will ich in einer Woche erreicht haben, was will ich nächsten Monat erreicht haben. Was habe ich vor, wie komme ich dahin. Was geht gerade gut, was klappt gerade nicht.“  Und man muss sich auch ins Pferd „einfühlen können“. „Das muss einem so ein wenig gegeben sein, das kann man nur schwer lernen, muss man auch mitbringen“, ist sich Kukuk sicher.  Auch der rege Austausch mit Kollegen kann weiter helfen: „‚Ich spreche unheimlich gerne mit Daniel Deusser, sehe mir gerne seine Runden an. Das ist jemand, der sich auch wirklich Gedanken macht und für verschiedene Sachen offen ist. Wir sprechen schon regelmäßig über neue Dinge, die wir erlebt haben, fragen den anderen, was meinst Du. Von ihm bekomme ich eine ehrliche Antwort. Der sagt Dir, wie es ist. Das ist nicht mehr alltäglich. Deswegen schätze ich das auch sehr an ihm.“

Jetzt freut sich Familien-Mensch Christian Kukuk erst einmal auf ein paar ruhige Weihnachtstage: „Wir treffen uns immer bei unseren Großeltern. Die ganze große Familie meiner Mama. Für meine Oma ist es der absolute Höhepunkt im Jahr und immer eine total schöne Zeit. Da freue ich mich drauf.“

Mitte Januar geht es für Christian Kukuk im spanischen Oliva weiter, während seine Stall-Kollegen Philipp Weishaupt und Eoin McMahon ihr sportliches Jahr in Wellington beginnen. „Ich bleibe in Europa. Mein Ziel ist das Weltcup-Finale in Leipzig im April.“ Und Kukuk hat gute Chancen, hat mit vorderen Platzierungen bei den Weltcup-Etappen in Oslo und Verona bereits 25 Punkte gesammelt.

Große Ziele hat Christian Kukuk einige für 2022. Da ist natürlich der CHIO Aachen, da ist die Weltmeisterschaft in Herning im August. Ein Traum für Kukuk wäre auch eine Teilnahme am Rolex IJRC Top-Ten Finale in Genf 2022. Das fände er cool. Dafür müsste die Nummer 18 der Weltrangliste bis dahin in die Top-Ten aufsteigen. Das ist nicht unrealistisch, nicht unmöglich, wenn auch derzeit „nur ein Traum“. Aber auch Träume werden manchmal wahr. Und Christian Kukuk ist immer für eine Überraschung gut.

Text und Interview: Corinna Philipps   spring-reiter.de