„Man muss Reitern Mut geben. Mut heißt auch, keine Angst vor dem Versagen zu haben!“ Interview mit Reitmeister Achaz von Buchwaldt

posted in: Allgemein | 0

Er ist eine Springreiter-Legende, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, ein Mann, bei dem einem die Superlative nicht ausgehen: Achaz von Buchwaldt ist nicht nur Reitmeister, zweifacher Derby-Sieger und Top-Ausbilder – sondern auch ein gefragter Trainer. Selber eher hanseatisch bescheiden, ist der 80-Jährige immer noch auf den großen Turnieren präsent. Als Ratgeber, Trainer, Beobachter und Freund der Pferde. Ein Kämpfer im Leben und im Parcours, ein gefühlvoller Reiter, der 25 Jahre lang Mitglied im Bundeskader war, 1983 in der deutschen Bronze-Mannschaft bei den Europameisterschaften von Hickstead ritt, später als National-Coach die dänischen Springreiter betreute, bei 40 Nationenpreisen im Einsatz war und etliche Große Preise gewann.

Viele Reiter wie Lars Nieberg verdankten ihm als Trainer und Mentor ihre Erfolge. Auch heute noch ist sein Rat gefragt, seine Erfahrung hoch geschätzt. spring-reiter.de hat mit Achaz von Buchwaldt über positive Motivation, sein Leben, vor allem aber über das gesprochen, was er in diesem erfahrungsreichen Leben gelernt hat und an die Reiter von heute weitergibt. 

Du bist in Grömitz an der Ostsee geboren?

Achaz: Ja, das stimmt. Aber nur, weil ich auf der Flucht geboren bin. Unsere Familie ist eine uralte Familie aus Schleswig-Holstein. Da sind noch zwei große Güter, in Neudorf und in Helmstorf. Da stammt meine Familie her. Meine Mutter erbte ein großes Gut in Mecklenburg. Sie ist mit meinem Vater vor dem Krieg rübergegangen, um das Gut zu bewirtschaften. Als sie schwanger war, wollte sie zur Familie nach Schleswig-Holstein zurück. Ich sollte in Kiel geboren werden, aber dann war Bombenalarm. Und so bin ich in Grömitz zur Welt gekommen. Aber das Fluchtkind ist seitdem nie wieder in Grömitz gewesen.

Du hast Kaufmann gelernt. Aber wann hat Dich das Pferdevirus erwischt? 

Achaz: Das Pferdevirus hat mich schon seit Kindesbeinen erwischt. Meine Eltern sind schon geritten, und mein Vater war ein Pferdemann. Aber als Kind hatte ich immer meinen Onkel Magnus von Buchwaldt als Vorbild, der ja damals, nach dem Krieg, im großen Sport mit ritt. Er war ein sogenannter Herrenreiter, der aber unter anderem in Aachen den Großen Preis (1958) gewonnen hat. Als Kind habe ich gedacht, so musst du auch mal werden.

War es für Dich als Kind schon klar, dass Du unbedingt Reiter werden willst?

Achaz: Absolut. Natürlich konnte man damals davon nicht leben. Es sei denn, Du warst in eine Familie geboren, die Pferde hatte und züchtete, oder durch einen gewisser Wohlstand. Wir waren Flüchtlinge, und da war nichts mit Pferdekaufen. Aber ich habe schon als Kind immer gesagt: Das will ich machen. Ich habe schon als ganz kleiner Junge beim Hamburger Derby unten an der Teilnehmertribüne gestanden und am Tor gerüttelt und gesagt: Da will ich rein!

Meine Mutter war dagegen. Sie wollte, dass ich die Schule beende und einen ordentlichen Abschluss mache. Dann machst Du eine Lehre, hat sie gesagt. Und: Du mit deiner Reiterei, das wird sowieso nichts. Ich musste viele Rückschläge hinnehmen, durch viel Täler wandern. Am Anfang bin ich neben Schule und Berufsausbildung nebenbei geritten, auf ländlich Turnieren, habe auch schon mal ein S-Springen gewonnen.

Wie bist Du denn an Pferde gekommen?

Achaz: Mein Vater war nach dem Krieg Verwalter auf einem großen Gut. Da gab es auch Pferde.

Ich habe meine kaufmännische Lehre in Reutlingen absolviert, als Textilkaufmann. Das Erste, was ich da gemacht habe, war, dass ich in einen Reitstall ging, die auch ein paar gute Pferde hatten. Ich habe diese Pferde, die von Turnieren noch gar nichts wussten, als junger Kerl ausgebildet und mit ihnen S-Springen gewinnen können. Wenn ich heute in die Gegend komme, kennen mich dort noch alle.

Ab wann haben denn Deine Eltern gesagt, ok – der meint das ernst?

Achaz: Das hat lange gedauert. Ich habe dann auch versucht, selbstständig zu sein. Ich habe immer schon mal nach jungen Pferden geguckt, habe die dann weiterverkauft. Wenn ich selbst das Geld nicht hatte, habe ich Leute gefunden, die sich beteiligt haben. Irgendwie lief es. Ohne solche Geschäfte hätte ich keine Chance gehabt. 

Es war nicht so einfach, immer Leute zu finden, die mich unterstützt haben. Leider hatte ich immer die Faust im Nacken, es fehlte mir auch die Gelassenheit damals. Ich hätte früher anfangen sollen, das alles ein bisschen lockerer anzugehen. 

Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse ist seitdem: Lernen muss man das ganze Leben lang lernen.

Da Du ja nicht so viel Geld hattest, hast Du eher die schwierigen Pferde gekauft?

Achaz: Ja, nur. Dadurch habe ich auch damals meine Reiterei nicht gerade verbessert. Dadurch wird man schlechter, wenn man viele schlechte Pferde reitet. Ich habe auch mit solchen Pferden viel erreicht, aber weil sich alles in der Öffentlichkeit abspielt, macht man da auch nicht das beste Bild. 

Hattest Du denn Fürsprecher oder Mentoren? 

Achaz: Ja.1967 kam ich zum DOKR nach Warendorf und wurde unter die Fittiche von Hans Günter Winkler genommen. Da habe ich viel gelernt, aber es war auch eine harte Schule. Heute helfen sich die Reiter untereinander, früher war es eher so: Hoffentlich wird der nicht besser als ich. Deshalb ist es auch heute für mich das Wichtigste in der Ausbildung, dass man mit den Reitern psychologisch gut umgeht. Reiten können die alle, da geht es eher um kleine Stellschrauben. Es geht darum, die Reiter zu motivieren, damit sie Selbstvertrauen bekommen. Ein guter Trainer muss auch ein guter Psychologe sein.

Das ist auch aktuell Dein Ansatz beim Coaching von Simon Heineke?

Achaz: Ja, Simon ist ein Supertalent. Aber er muss mehr an sich glauben. Wenn man ihm dabei hilft und dann an diesen Schrauben der Kleinigkeiten drehen kann, dann ist es gut. Ganz wichtig in der Ausbildung ist das Fundament, das sitzt bei ihm. Er reitet sehr gefühlvoll und kann sich in Pferde reinfühlen oder reinhören, was ganz wichtig ist. 

Mein Spruch ist immer: Reiten heißt fühlen. Meine Frau kann das schon nicht mehr hören. 

Viele können damit nichts anfangen. Was heißt fühlen?

Achaz: Ja, das wusste ich früher auch nicht. Da habe ich bei meinem Reitlehrer gedacht, was erzählt der denn da. Ich habe doch Gefühl, was will der denn? Aber, dass da so viel mehr dranhängt, auch im Umgang mit Pferden, wie behandle ich mein Pferd, alle diese Dinge sind so, so wichtig, dieses Reinhören in ein Pferd, sich auf ein Pferd einstellen können. Die haben doch alle ihren eigenen Charakter, genau wie die Menschen. 

Was hat sich denn seit den Jahren Deiner Anfänge bis heute im Springsport verändert?

Achaz:  Allein vom Reiterlichen und von den Pferden hat sich der Sport enorm verändert – zum Positiven! Die Reiter auf den internationalen Turnieren, die reiten klasse. Da sieht man ganz, ganz selten mal ein schlechtes Bild. Jeder hat seinen eigenen Stil, manchmal auch körperlich bedingt. Und die Pferde, die sind so viel besser geworden. Die sind gezüchtet für diesen Sport. Die sind leichter zu reiten, die sind viel empfindlicher. 

Als ich Ende der Siebziger so richtig in den Sport kam, hatte ich ein irisches Pferd im Auge. Der war ein Klassepferd, aber schwierig zu reiten. Wenn man mit dem Erfolg haben wollte, musste man unglaubliche Kompromisse machen. Auch mit der Dressurarbeit musste man ganz vorsichtig sein. Das Pferd hieß Pims und war wirklich mein bestes Pferd. Aber ich musste meine Reiterei total umstellen. Ich musste ihn so lassen, wie er ist. 

Deine Frau ist auch geritten?

Achaz: Ja, sie ist sogar sehr gut geritten. Meine Frau ist in Brasilien geboren, ihre Eltern waren vor den Nazis geflüchtet. Sie kam mit zwei Pferden zum DOKR aus Brasilien nach Warendorf. 

Meine Frau hat mir in meiner Laufbahn unheimlich geholfen, auch was die Beziehungen zu internationalen Reitern angeht. Ohne sie hätte ich alles nie so machen können. Meine Familie ist ja eine alteingesessene, ein uralter Adel. Ich wollte dann auf dem Gut Neudorf meine Frau vorstellen. Mein Vater war früh gestorben und mein Onkel war nach dessen Tod Familienoberhaupt. Ich war so stolz, aber dann begrüßte er meine Frau, die braungebrannt war und toll aussah: „Ich habe gehört, Sie sind Indianerin oder so was Ähnliches?“ Sie war schlagfertig, hat was Witziges geantwortet, was er dann nicht so gut fand. Aber daraus wurde dann später ein sehr gutes Verhältnis.

Wenn Du eines von den heutigen Pferden reiten könntest, welches wäre es?

Achaz: Das sind so viele. Wenn ich auf einem großen Turnier bin, denke ich schon mal: Wow. In Aachen hat mir ein Pferd irre gut gefallen. Das ist die Fuchsstute von Emelie Conter, die Portobella van de Fruitkorf. Das ist ein Superpferd. Meine gute Bekannte Helena Stormanns ist die Trainerin. Und wie sie trainiert, das ist so genau mein Ding: Vorwärts schauen, motivieren, fröhlich sein. Nicht so verkrampft, alles ein bisschen locker sehen, den Weg vorgeben. Das ist auch meine Philosophie. Ich habe in der langen Zeit ja viele Leute ausgebildet, bin auch mal Bundestrainer in Dänemark gewesen. Unglaublich, was das ausmacht, wenn man diese Art vermittelt. Man muss den Reitern Mut geben. Mut heißt auch, keine Angst vor dem Versagen zu haben. Du musst in diesem Sport Mut haben, das sieht man auch an Reitern wie Richard Vogel.

Muss man den Mut mitbringen oder kann man sich den erarbeiten?

Achaz: Ich habe früher immer gedacht, wenn ich einen ganz vorsichtigen jungen Reiter gesehen habe, das wird schwierig. Aber heute, auf den guten Pferden, wenn die jungen Reiter gezielt eingesetzt werden und keine Misserfolge haben, können sie durch die Vermittlung von Selbstvertrauen auch erfolgreich werden.

Ich bin vor kurzem an einem Geschäft vorbeigekommen und habe dieses Plakat gesehen und gleich fotografiert: Was kostet es, Träume wahr werden zu lassen? Mut!

Was hat sich denn im Sport zum Positiven entwickelt – und was eher zum Negativen?

Achaz: Positiv heute ist, dass viele so gut reiten und sich untereinander auch helfen. Und das Negative? Um es kurz zu sagen, es ist einfach zu viel Geld im Sport. Die Groß-Veranstalter kämpfen gegeneinander. Das beste Beispiel ist Aachen, das schönste Turnier der Welt. Und dann hat die Global Tour gesagt, das wollen wir doch mal sehen, und hat in Monaco noch mehr Geld ausgeschrieben – auf einem Platz, der vielleicht ein Viertel so groß ist wie der in Aachen. Es gibt am Ende auch zu viele Termine. 

Verändert haben sich auch die Nationenpreise: Früher war ein Nationenpreis das Wichtigste. Da gingen die besten Pferde. Heute hat der Nationenpreis leider nicht mehr den gleichen Stellenwert. 

Was sagst Du den Kritikern, die den Reitsport am liebsten abschaffen wollen?

Achaz: Das finde ich, um es mal ganz klar zu sagen, unterirdisch, wenn man den Reitsport sieht und wie die Pferde heute behandelt werden, wie alt sie werden. Ich habe auch ein Pferd gehabt, Lausbub. Der hat mit mir mit seinen 18 Jahren das Derby gewonnen. Den hatte ich, seit er vierjährig war. Oft gehen heute viele Pferde, wie zum Beispiel der 19-jährige Con Quidam von Sanne Thijssen, noch erfolgreich im Großen Sport. Das ist ein gutes Zeichen.

Beim ersten Derbysieg saß ich auf Wendy, die ich als Zuchtstute gekauft hatte, Die hatte schon zwei Fohlen, war danach angeritten worden, und zweieinhalb Jahre später habe ich mit ihr zum ersten Mal das Derby gewonnen. Die war 1,62m groß, ein winziges Pferd, aber mit einem Riesenherz. Auf ihr bin ich danach auch Dritter mit der Mannschaft bei der Europameisterschaft geworden.

Wenn Du noch einmal einen Moment aus Deinem Leben wiederholen könntest, welcher wäre das?

Achaz: Ich habe mich sehr gefreut, als ich mit Lausbub zum zweiten Mal das Derby gewonnen habe. Ich war fehlerfrei im Stechen mit John Whitaker, Dritter wurde Nelson Pessoa. 

Würdest Du heute gerne noch mal das Derby reiten?

Achaz: Ja, natürlich. Das ist der einzige Platz, auf dem ich gerne noch mal reiten würde. Das ist der Traum eines alten Mannes. Ich reite ja noch jeden Tag. Ich überlege schon, ob ich wieder ein junges Pferd zu mir hole, aber meine Frau sagt nein. Sie hat, wie immer, Recht. 

Züchtest Du denn noch selbst?

Achaz: Ja, leider. Ich habe noch zwei Stuten, aber die stehen woanders. Bei der Züchterei habe ich viel von Lars Nieberg gelernt, weil er schon als junger Mann gezüchtet hat. Ich überlege nun allerdings: Wenn das Pferd jetzt geboren ist – wie alt bin ich dann, wenn es in den Sport kommt? Eine ganz schlimme Rechnung, das darf man eigentlich nicht machen. Ich hatte mal einen alten brasilianischen Sponsor, der hat mir immer gesagt: Du musst so denken und planen, als ob Du ewig lebst. 

Interview: Corinna Philipps Fotos: Julie Suhr