Ihm sieht man beim Reiten einfach gerne zu: Max Kühner ist ein feiner Stilist im Springsattel, seit Jahren konstant auf internationalem Top-Level unterwegs. Zahlreiche Erfolge hat der 51-jährige studierte Betriebswirt bereits erreicht – darunter der Gesamtsieg der Global Champions Tour 2024, ein Rolex-Grand-Prix-Triumph (2021 in ’s-Hertogenbosch) sowie EM-Bronze mit der österreichischen Mannschaft in Mailand. Der gebürtige Bayer, der seit 2015 aus sportlichen Gründen für Österreich startet, gilt als jemand, der reflektiert, den Austausch sucht und sich aktiv für den Sport einsetzt.
Wir haben mit Max Kühner über “den Kommunikationsfehler” zur neuen FEI-Blood-Rule, über unpassende Begrifflichkeiten, seine schonende Ausbildungsphilosophie für junge Pferde und über sein neues, besonders talentiertes Nachwuchspferd gesprochen. Außerdem verrät der Vater dreier Töchter, warum er gelegentlich in der Box seines Lieblingspferdes schläft.
„Blue ist und bleibt meine Nummer eins“
Ist Elektric Blue P. noch immer Dein Best- und Herzenspferd – und planst Du ihn für die WM 2026 in Aachen ein?
Max Kühner lacht: „Ja! Da kommt auch keiner ran. Wir haben Blue Ende zweijährig gekauft, er ist bereits achtjährig seine ersten 5*-Turniere gegangen und springt seitdem konstant auf höchstem Niveau. Die WM in Aachen wäre unser großes gemeinsames Ziel. Grundsätzlich schauen wir ihn sehr schonend einzusetzen und machen die letzten Jahre nur etwa 12 Turniere pro Jahr.
Andererseits ist Blue ein Pferd, das sehr gerne aufs Turnier fährt. Zuhause ist er meist nicht so glücklich wie auf dem Turnier. Trotzdem muss ich mit seinen Sprüngen haushalten. Wenn wir ihm eine Pause geben, ist es gar nicht so leicht, ihn zufrieden zu halten. Er ist das Turnierleben gewohnt, dort ist er immer die Nummer eins – das spürt er genau und nimmt es auch ein.
Zuhause kann ich nicht an seiner Box vorbeigehen, ohne bei ihm stehenzubleiben. Sonst werde ich lautstark ‚angeschrien‘ – er wiehert dann sofort. Natürlich bekommt er zuhause keine 15 Stunden Aufmerksamkeit, aber sein Programm ist voll: Spaziergänge, Koppel, Reiten, Arbeit an der Longe. Er ist ständig in Bewegung, aber eben nicht permanent im Zentrum wie auf dem Turnier, wo seine Box den ganzen Tag offen ist und er alles beobachtet: andere Pferde, den Pfleger, den Ablauf. Zuhause ist er immer wieder einige Stunden auf sich gestellt, und das mag er eigentlich nicht.“
„Er ist sehr menschenbezogen – und ja, manchmal eifersüchtig“
Wird Blue dann auch eifersüchtig?
Max schmunzelt: „Ja, er ist einfach die Nummer eins. Er steht zuhause nur mit zwei anderen Pferden im Stall, weil er Pferde um sich herum nicht so gerne mag – Menschen dagegen sehr. Wenn wenig los ist und ich mich ausruhen möchte, lege ich mich mit einer Liege zu ihm in die Box, und das findet er super. Auch unser Pfleger macht das. Oft legt sich Blue dann sogar dazu. Man muss nur aufpassen, dass er einen dabei nicht zwickt. Dieses freche, nicht böse gemeinte Zwicken macht er auch beim Spazierengehen – da muss man aufpassen, sonst gibt’s blaue Flecken.“
„Diese Bindung entsteht durch gemeinsame Höhen und Tiefen“
Ist er Dein „once in a lifetime horse“?
Max: „Mit Chardonnay hatte ich auch eine ganz besondere Beziehung. Aber Blue hat natürlich unglaublich viel für mich getan. Wir sind seit vielen Jahren zusammen, haben Höhen und Tiefen erlebt. Da macht man sich viele Gedanken: Wie kann ich etwas besser machen? Werde ich dem Pferd gerecht? Wie wird er glücklicher? Ist er gesundheitlich voll fit? Das schweißt emotional zusammen.“
Ausbildungsphilosophie: klassische Basis, feine Abstimmung, klare Kommunikation
Was ist Deine Philosophie im Springsport und bei der Ausbildung junger Pferde?
Max: „Ich bin ein Vertreter der klassischen Reitweise. Mir ist eine gute dressurmäßige Basis wichtig, weil meine Reiterei das braucht. Ich möchte eine feine Abstimmung und ich möchte, dass das Pferd mich versteht. Die größte Freude ist für mich, wenn ich mit dem Pferd gemeinsam etwas erreiche und wir anfangen uns gegenseitig zu verstehen.
Es wird dann richtig spannend, wenn Pferd und Reiter eine gemeinsame ‚Bubble‘ haben – eigentlich meine ich damit so etwas wie eine gemeinsame Cloud. Was wir tun, wird dort gemeinsam entschieden. Es funktioniert heute nicht mehr, dass ich sage: ‚Du machst das jetzt‘ und das Pferd macht es dann. Das wäre viel zu langsam, dafür ist der Sport heute zu schnell. Es geht um nahezu synchrones Arbeiten. Als Beispiel erzähle ich dazu auch gerne von dem Vogelschwarm in dem hunderte Vögel synchron fliegen.“
„Man muss sich aufeinander einlassen und Kompromisse machen“
Wie entsteht diese Cloud, die ja auf großem Vertrauen basiert?
Max: „Indem man sich miteinander auseinandersetzt – in allem. Man lernt sich kennen, stimmt sich ab und macht auch Kompromisse. Ich finde mit einem Pferd ist die Sprache oft klarer als mit vielen Menschen.
Meistens habe ich junge Pferde, die ich mit meinem Team selbst aufbaue. Eine wichtige Rolle spielt dabei Helmut Schönstetter. Er betreut mit seinem Team 15–20 junge Pferde von uns und arbeitet nach dem gleichen System. Seine Reitweise ist klar, simpel und für Pferde schnell verständlich. Die Pferde gehen ein paar Turniere, dann zurück auf die Koppel – und wir starten erneut.“
„Wiederholung gibt den Pferden Sicherheit und mentale Stärke“
In welchem Alter beginnt ihr die Ausbildung?
Max: „Wir reiten die Pferde Ende drei-, Anfang vierjährig an. Das dauert meist nicht lange, weil alles sehr einfach gehalten wird. Nach drei Monaten gehen sie erste kleine Parcours und dann wieder zurück auf die Koppel. Danach kommen sie wieder, werden erneut antrainiert, gehen ein paar Turniere – und wieder zurück auf die Koppel. Diese Wiederholung ist enorm wichtig, weil sich dadurch alles festigt.
Wir reden bei Menschen mittlerweile ständig über Burnout. Wenn ich ein junges Pferd ohne Pausen permanent steigere – heute 5 % mehr als gestern, in einem Monat noch besser – funktioniert das nicht. Nach zwei bis drei Monaten Koppel fange ich bewusst wieder unten an. Wenn ein Pferd nach einer Woche wieder gut außen herumläuft, freue ich mich, auch wenn das nur 30–40 % von vorher sind.
Für das Pferd ist das motivierend, weil es etwas wiedererkennt und versteht. Pferde freuen sich, wenn sie etwas begreifen und gut mitmachen können – das schafft mentale Erfolgserlebnisse und festigt die Ausbildung.
Blue stand zum Beispiel Anfang Januar zuhause im halben Meter Schnee und gewann sechs Wochen später bei der Sunshine Tour das Finale der jungen Pferde, ein Weltranglistenspringen.“
„Ich brauche Pferde mit eigenem Antrieb“
Ab welchem Alter nimmst Du die Pferde selbst in die Hand?
Max: „Meistens hole ich mir die 6- bis 7-Jährigen immer wieder mal zu mir, aber nur ein oder zwei gleichzeitig. Dann wechseln wir wieder durch. Ich reite viel Dressur mit ihnen, springe etwas, fühle mich ein und mache mir ein Bild. Danach bekommt Helmut Feedback.“
„Das Pferd soll eine eigene Motivation entwickeln“
Wie erhältst Du die Motivation der Pferde?
Max: „Ich vergleiche das oft mit meinen Kindern. Ich mache ihnen nicht alles leicht und motiviere sie nur, sondern verlange auch, dass sie Dinge richtig machen. Und sie freuen sich, wenn es klappt, weil sie merken: ‚Das wollte ich jetzt.‘
Ich versuche also, eine eigene Motivation beim Pferd zu erzeugen. Es ist nicht meine Aufgabe, ein ständiger ‚Bespaßer‘ zu sein – das wäre nicht nachhaltig. Die Vorstellung, dass der Reiter das Pferd permanent unterhalten muss, ist falsch. Das Pferd soll von sich aus Freude am Sport entwickeln.“
„Das Gefühl entscheidet – der Funke muss überspringen“
Wonach suchst Du bei einem Pferd?
Max: „Das Wichtigste ist das Gefühl – besonders, wenn ich drauf sitze. Es geht darum, ob ich gerne mit diesem Pferd zusammenarbeite. Ich bin viele tolle Pferde geritten, aber bei manchen sprang der Funke nicht über.
Ich mag Pferde mit viel Blut und eher zu großer Motivation. Diese Pferde werden bei mir meist ruhiger und gelassener. Ein Pferd, das ich ständig bitten muss, geht für mich nicht – das passt nicht zu meiner Reiterei.“
„Neue Pferde finden wir auf vielen Wegen“
Wie und wo findest Du neue Pferde?
Max: „Unsere Suche ist breit aufgestellt. Wir arbeiten mit einer Software zur Vorauswahl, haben Leute, die für uns Pferde anschauen, und ein großes Netzwerk. Oft bekommen wir spannende Pferde angeboten.
Manchmal sind die Geschichten kurios – wie bei meiner Nachwuchshoffnung Kurt D Z. Der Züchter stand eines Tages einfach bei mir auf dem Hof. Kurt ist klein, und ich sehe auf ihm sicher nicht optimal aus, aber das Pferd hat etwas. Er hat mich sofort gepackt. Ich erhoffe mir viel von ihm, auch wenn manche anfangs gelacht haben. Aber ich glaube: Irgendwann lache ich.“
„Wenn meine Töchter reiten, bin ich viel nervöser“
Wie aufgeregt bist Du, wenn deine Töchter reiten?
Max: „Viel mehr als bei mir selbst, weil ich dann keinen Einfluss habe. Sie erleben den Sport mit all seinen schönen, aber auch schwierigen Seiten. Spitzenreiter stehen unter Druck, besonders in Deutschland – das bekommen sie direkt mit.“
„Die aktuelle Kritik belastet – vor allem die Art, wie sie geäußert wird“
Wie belastend ist die Kritik am Springsport für Dich?
Max: „Sehr. Wir geben unser ganzes Leben dem Sport. Wir sind 45 bis 50 Wochen im Jahr unterwegs, während andere schlafen oder Freunde treffen. Wir denken ständig an die Pferde. Und wenn etwas nicht optimal läuft, kommt sofort eine heftige Reaktion.
Schwierig ist vor allem die Art dieser Reaktionen: Die Lautesten haben nicht mal einen Namen. Es fehlt an normaler, konstruktiver Kritik. Stattdessen wird sofort verurteilt. Bei Tieren ist das emotional aufgeladener – das macht es extremer.“
„Der gesamte Prozess war unglücklich – vom Namen bis zur Kommunikation“
Wie siehst Du die neue FEI-Blood-Rule? Du warst lange Reitersprecher.
Max: „Der gesamte Prozess ist sehr unglücklich. Es beginnt mit dem Namen, den ich gar nicht mehr ausspreche. Mit so einer Überschrift kann man nur ablehnend reagieren. Die FEI hätte das komplett anders aufsetzen müssen. Sie darf nicht ignorieren, was draußen passiert. Wir müssen die Welle der Kritik in den Griff bekommen und mit den Leuten – auch in den sozialen Medien – in Kontakt treten. Ihre Stimmen müssen gehört werden, aber natürlich auch die der anderen Parteien. Sonst entsteht kein faires Bild. Im Moment findet ein regelrechter Krieg ohne Regeln statt.
Inhaltlich geht es eigentlich um etwas anderes: um Situationen im Parcours, in denen man das Pferd so stark unterstützen muss, dass ein kleiner Kratzer durch den Sporen entsteht. Ohne diese Unterstützung könnte es passieren, dass Pferd und Reiter in einer Kombination stürzen – mit weit schlimmeren Folgen. Dann ist ein kleiner Kratzer zwar nicht gut, aber im Vergleich die sicherere Variante. Ich vergleiche es mit einem blauen Fleck vom Sicherheitsgurt nach einer Vollbremsung – nicht schön, aber man lebt.
Ich hätte auch mit der alten Regel leben können, aber bei Championaten ohne Streichergebnis ist eine Disqualifikation für das gesamte Team massiv – und oft ungerecht. Das hätte man auch so kommunizieren müssen.
Und klar: Die neue Regel ist keine Entschärfung. Das Strafmaß ist höher. Früher wurde man aus der Prüfung eliminiert – damit ist keinem Pferd geholfen. Jetzt gilt: zwei Kratzer innerhalb von 12 Monaten, egal mit welchem Pferd, bedeuten einen Monat Sperre. Das sind bei uns vier bis fünf Turniere mit mehreren Pferden. Das ist eine deutliche Verschärfung. Aber es trifft nicht mehr automatisch die Teamkollegen – diese ‚Sippenhaft‘ war rechtlich nie haltbar.“
„Ein Monopol muss Verantwortung übernehmen – und sauber kommunizieren“
Hoffst Du, dass sich die Kommunikation zur Regel verbessert?
Max: „Wir sind in dem Weltverband FEI als Monopol organisiert. Das hat Vorteile, aber der Anspruch ist hoch. Die FEI muss Pferde schützen, den Sport schützen, aber auch uns Reiter schützen. Solche Kommunikationsfehler dürfen nicht passieren. Es braucht qualifizierte Überlegungen, wie man das besser macht – vielleicht mit einer spezifischen ‚Sporenregel‘, die dem tatsächlichen Szenario gerecht wird.“
„Der Sport bleibt – aber die Frage ist, wo“
Glaubst Du, dass es den Sport in 20 Jahren noch gibt?
Max: „Den Sport wird es ganz sicher geben. Er entwickelt sich weltweit enorm. Wie er in Europa oder Deutschland aussehen wird, kann ich nicht sagen. Aber anderswo wird es ihn sicher weiter geben.“
Das Interview führten Corinna Philipps und Julie Suhr für spring-reiter.de











