„Wenn Du am Sonntagnachmittag ein Stechen gewinnen willst, musst du irgendwo was machen, was andere nicht können!“ Exklusiv-Interview mit Daniel Deusser 

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Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt, philosophierte Forrest Gump. Was er bekommt, wusste auch Daniel Deusser nicht, als der 13-jährige Gangster v/h Noddevelt kürzlich „zur Probe“ in seinen Stall zog. Überraschend auch für den Reiter gewann das neue Paar am letzten Wochenende gleich beim zweiten gemeinsam Turnierstart das Eröffnungsspringen beim CSI5* Weltcup-Turnier der Partner Pferd. Anschließend wurden sie zusammen Dritte im Championat von Leipzig und platzierten sich auf Anhieb im Weltcup-Springen über 1,60m. Ein vielversprechender Start. Wir haben mit dem CHIO Aachen Grand Prix Sieger und Olympischen-Mannschaftsbronze-Medaillen Gewinner über neue Pferde, seine Olympia-Ambitionen, die ewige Suche nach dem einen Ausnahme-Pferd und über seine Turnier-Pläne gesprochen. 

„Das Pferd hat am Wochenende einen unglaublichen Job gemacht“, freute sich Daniel Deusser nach seinen ersten erfolgreichen Auftritten mit Gangster v/h Noddelvelt (v. Eldorado vd Zeshoek). „Gangster ist ganz neu bei mir im Stall. Er ist im Besitz eines tschechischen Reiters, der ihn vorher auch selbst geritten ist. Gangster hat mit dem Tschechen schon ein paar schwerere Sachen gemacht und ist auch schon zwei Championate gesprungen. Die Idee des bisherigen Reiters war, dass ich da gut drauf passe. Und dass das ein super Pferd ist. Er kam nach Belgien und gab ihn mir zwei Tage zum Probieren. Er ist wohl ein spezielles Pferd. Er hat Vermögen und ist vorsichtig“, stellte Daniel Deusser, der für Stephex Stables in Belgien arbeitet, schnell fest. Er studierte die Videos des belgischen Wallachs. 

„Er hat sehr viel Blut, er ist nicht so klassisch zur reiten im Parcours. Er läuft ein bisschen seitwärts in den Kurven, attackiert die Sprünge und er ist auch ein bisschen ein Gangster, der Name passt wohl“, lacht Deusser. Im Umgang zu Hause sei der athletische große Braune jedoch „ein super liebes Pferd“. 

„Aber wenn der in den Parcours kommt, oder wenn ich zu Hause anfange zu springen, wenn ich ihn gerade halten möchte, das ist alles nicht so klassisch, wie wir das gerne haben. Vladimir und Gangster waren aufeinander abgestimmt und kennen sich auf diese Weise schon sehr lange. Es ist nicht meine Absicht, das Pferd total zu verändern. Ich probiere das mal zwei Monate und dann sehen wir weiter“, resümiert Daniel Deusser. Ein guter Anfang ist gemacht. Deusser, der das feine Reiten auch bei Franke Sloothaak lernte, hat oft genug bewiesen, dass er sich mit ganz viel reiterlichem Feingefühl und Gespür in schwierige Pferde einfühlen kann. 

Der Ex-Reiter von Gangster v/h Noddelvelt, Vladimir Tretera, hat längst viel mehr in Sinn. „Ich stehe als Besitzer mit drin, weil er der Meinung ist, da steckt Potential Richtung Olympia drin. Keine Ahnung, ob das stimmt“, schmunzelt Deusser, der die Weltrangliste 2021 für fünf Monate anführte. Der gebürtige Hesse ist Realist, kein Träumer.

Natürlich ist für den Hochleistungssportler auch Olympia immer ein Thema, auch wenn er gerade nicht im Olympia-Kader, sondern im Perspektiv-Kader ist. „Wenn ich das richtige Pferd habe, will ich natürlich gerne dort starten. Wenn ich der Meinung bin, dass ich da mitmachen kann und in der Lage bin zu gewinnen, dann möchte ich da natürlich gerne hin. Trotzdem muss ich ganz ehrlich sagen, Olympia ist näher mit Killer Queen als mit Gangster und allen anderen“, weiß der 42-jährige, der mit Killer Queen (v. Eldorado vd Zeshoek) in Tokio bereits Olympische Erfahrungen sammeln konnte. 

In die Geschichtsbücher schrieben sich Deusser und Killer Queen VDM ein, als sie beim CHIO Aachen 2021 den Rolex Grand Prix gewannen. Auch ein Jahr später mischte das Dream-Team im Großen Preis vorne mit und sicherte sich Platz vier. Kurze Zeit später konnte Deusser mit seiner Ausnahme-Stute auch den Rolex Grand Prix in Calgary für sich entscheiden. Und auch 2023 lieferte Killer Queen VDM mit DD in ihrem „Wohnzimmer“ in Aachen ab, wurde nur ganz knapp von Marcus Ehning und Stargold geschlagen. 

Nach einem dritten Platz im Großen Preis in Riesenbeck, dem Sieg im Nationenpreis für das deutsche Team und Platz vier im Großen Preis in Brüssel im vergangenen August musste die Stute allerdings verletzungsbedingt pausieren. 

„Killer Queen war ein bisschen raus nach Brüssel. Mittlerweile springe und arbeite ich sie schon eine ganze Zeit wieder. Mein Plan ist, in drei Wochen bei der Sunshine Tour mit ihr zu beginnen“, erzählt DoubleD, der derzeit auf Rang 34 der Weltrangliste steht. Das hat auch viel mit Verletzungspech zu tun, denn auch sein zweites Top-Pferd, der Rolex Grand Prix Sieger der Dutch Masters 2022, Scuderia 1918 Tobago Z (v. Tangelo vd Zuuthoeve), war zuletzt nicht zu 100 Prozent fit. 

„Tobago war ein wenig verletzt, er wird auch älter und es war alles zu schnell nach seiner Verletzung“, weiß Daniel Deusser heute. „Die ganze Saison konnte er nicht richtig springen und war nicht richtig fit. In Verona war er das erste Mal wieder gut“, erinnert sich sein Reiter. Deusser und der jetzt 16-jährige Tobago wurden im letzten November ins Team der Shanghai Swans bei den Prague Playoffs berufen. „Der Plan war auch gar nicht nach Prag zu gehen. Aber dann waren keine anderen Reiter da und dann kam die Anfrage, kannst Du nicht für das Team reiten. Und wir hatten auch einfach keinen anderen Reiter für das Team. Da hab ich mich selbst ein bisschen angelogen. Sicherlich war das zu früh im Nachhinein. Dass es hoch sein würde, wusste ich. Bingo hat unglaubliche Sachen gemacht in den letzten Jahren, aber Tobago hat viel mehr Erfolge und Erfahrung und daher habe ich mich für ihn entschieden. Es blieb mir nichts anderes übrig und dann ging es in die Hose“, gesteht Daniel Deusser sehr selbstkritisch. 

Jetzt fängt er erst mal wieder ganz geduldig mit kleineren Runden an: „Tobago hat in seiner Karriere nicht so eine tolle Leistung gezeigt, weil er das letzte Vermögen hat, sondern weil er eine super Einstellung hat und super vorsichtig war. Ich musste immer schon, wenn die Sprünge höher wurden, mit etwa mehr Schwung dagegen reiten. Und einfach davon profitieren, dass er so vorsichtig ist und schneller vom Boden wegspringt.“  Mittlerweile ist auch Tobago wieder auf dem Weg zurück in den Top-Sport: „Wenn ich normale Sprünge mit ihm mache so über 1,40 – 145m, dann fühlt sich das eigentlich so an, als könne es noch eine Weile so weiter gehen“, hofft Deusser. 

Mit dem zehnjährigen Otello de Guldenboom hat er seit dem letzten August einen vielversprechenden Tobago-Sohn im Stall. Zusammen konnten sie sich u.a. schon beim 5*-Turnier in Genf platzieren. „Otello hat schon viel Ähnlichkeit mit seinem Vater. Der Reiter Andrea Calabro war mal bei uns im Stall und daher waren wir immer in Kontakt geblieben. Er ist Otello neunjährig auch schon mal ein schweres Springen geritten. Wir haben das Pferd ausprobiert, der war irgendwo interessant, ein bisschen grün, aber interessant. Er ist etwas größer und schwerer als Tobago. Aber von der Einstellung her und vom Sprung selbst sind sie sich sehr ähnlich, er ist sehr vorsichtig, bleibt hier und da vielleicht auch noch mal etwas zu lange in der Luft, etwas hängen. Aber auch, wenn er noch nicht die letzte Erfahrung hat, kommst du doch gut im Ziel an. Für die wenige Erfahrung, die er hat, hat er das gut gemacht. In den letzten Monaten hat er sich auf dem 1,45 – 1,55m Level immer konstant gut gezeigt. Wenn es etwas höher wird, dann ist er schon noch etwas grün. Schauen wir mal, aber ich glaube, der könnte ein Grand Prix Pferd werden“, hofft Deusser. 

Für ihn steht diese Woche die Weltcup-Etappe in Amsterdam im Kalender, danach geht es nach Bordeaux und anschließend mit acht Pferden für drei Wochen zur Sunshine Tour. Mit nach Spanien nimmt er auch einen erst Siebenjährigen. Das ist für den dreifachen Mannschafts-Vize Europameister (2013, 2015 u. 2019) auch nicht alltäglich. „Ich hatte sonst halt immer genug ältere Pferde, was momentan nicht der Fall ist. Am Ende musst du auch ein wenig realisieren, was für Pferdematerial du zur Verfügung hast. Sicherlich probieren wir dann immer, auf dem gleichen Level weiter zu reiten. Aber wenn die Pferde nicht weit genug sind, bringt das absolut  gar nichts. Und so entstehen dann auch mal Entscheidungen, zur Sunshine Tour zu gehen und einfach mal mit jungen Pferden drei Wochen rum zu spielen und sich eben nicht auf große Turniere zu konzentrieren“, bringt es der Nationenpreisreiter auf den Punkt. 

Natürlich würde er sich das auch anders wünschen, würde er lieber oben mitreiten. „Aber es ist wie es ist“, so Deusser. Und vielleicht ergeben sich auch ganz neue Möglichkeiten. Auf der Suche nach dem nächsten Grand Prix Sieger. „Am Ende versuchst du natürlich immer Pferde zu finden, die bis 1,60m springen. Auch wenn die Pferde für 1,50m brauchbar sind. Am Ende muss man einfach die wenigen suchen, die von Natur aus etwas Außergewöhnliches haben. Du kannst viele Pferde ausbilden, viele Pferde besser machen bis zu einem gewissen Level. Aber wenn Du den Sport dann auch Sonntagnachmittag siehst, wenn Du ein Stechen am Sonntagnachmittag gewinnen willst, musst du irgendwo was machen, was andere nicht können.Einen Galoppsprung auslassen oder kürzer drehen…   Sonst hast du am Ende vielleicht einmal eine Chance, wenn es mal gut geht, aber wenn du das ganze Jahr über Turniere reiten willst, dann brauchst du außergewöhnliche Pferde. Das ist so“, stellt Deusser fest. 

Einen neuen Sieger hat er vielleicht sogar schon gefunden: „Ich warte noch auf ein Pferd aus Brasilien, ich soll es demnächst in Beritt bekommen. Das ist ein belgisches Pferd, das in Brasilien stand. Ich habe es in Brasilien dann auch ausprobiert. Das Pferd ist als Youngster sehr, sehr gut und sehr auffällig gesprungen und ganz Brasilien kennt das Pferd. Es ist jetzt auch schon neun. Hat aber noch nicht so viele Turniere bestritten. Da bin ich mal gespannt“, verrät der Springreiter. Noch steht die Tochter von El Torreo de Muze, sie stammt aus der gleichen Mutter wie Spitzenvererber Emerald, allerdings in Brasilien und muss erst noch 40 Tage in Quarantäne nach Argentinien. „Das dauert, bis es in Belgien ist, aber es könnte ein gutes Pferd für das nächste Jahr werden“, hofft Deusser. 

Und vielleicht wird es eine ebenso positive Überraschung wie mit dem Gangster. Und dann hätte er plötzlich wieder mehrere Asse im Ärmel. Für die nächsten großen Ziele und Grand Prix Siege. 

Text und Interview: Corinna Philipps