Holger Wulschner: „Für mich war es immer das Größte, für Deutschland im Nationenpreis zu starten!“

eingetragen in: Allgemein | 0

Das Tor der Einfahrt zum Gut Groß Viegeln, einer der schönsten Reitanlagen Norddeutschlands vor den Toren Rostocks, steht für den Gast weit offen, eingerahmt von zwei gemauerten Pfeilern, die so fest auf dem Boden stehen wie der Hausherr selbst. Ein großes Messingschild verkündet unübersehbar, wer auf diesem Areal seit 20 Jahren zu Hause ist: Holger Wulschner. Gastfreundschaft für Mensch und Pferd wird hier großgeschrieben – genauso wie Offenheit in jeder Beziehung.

Denn: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Holger Wulschner nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Nationenpreisreiter, Aktivensprecher der Springreiter und das Mitglied im Springaussschuss der Deutschen Reiterlichen Vereinigung mischt sich ein. Weil er das Geschäft in- und auswendig kennt, als Turnierveranstalter, als Top-Reiter und Hengsthalter. spring-reiter.de hat Holger Wulschner auf seinem traumhaften Hof in Groß Viegeln besucht und mit ihm über Verantwortung für den Sport und die Pferde, über seine unvollständige Bucket-Liste, über seine Pferdehaltungs- und schonende Ausbildungsphilosophie, seine Kritik bei den Anforderungen der Hengst-Leistungsprüfungen, über seine Arbeit im Springausschuss und die Olympischen Spiele gesprochen.

Insgesamt 45 Pferde werden hier aktuell gehegt und gepflegt, davon 22 Sportpferde. Beim gemeinsamen Bummel durch die Stallgassen fällt auf, dass Holger und Ehefrau Astrid Wulschner ein unübersehbares Faible für typschöne Pferde zu haben scheinen, die uns alle freundlich neugierig entgegensehen. Die größte Überraschung erwartet uns schon an der ersten Box.

Während der fünfjährige Mbappé vorsichtig im Nacken der Besucher knabbernd die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versucht, sind alle Augen auf die gegenüberliegende Box gerichtet: Das soll Diamant de Plaisir sein, der am liebsten als wilde Hummel durch den Parcours jagt und seinen Reiter regelmäßig bockend in Wohnungsnot zu bringen droht?

Diamant de Plaisir und seine Geschichte

Erst nach behutsamer Aufforderung durch Holger Wulschner setzt er ganz behutsam die Hufe auf die Stallgasse und bleibt dort ohne Strick abwartend stehen. „Der ist im Grunde wie ein Kinderreitpferd. Der hat einen Charakter als Hengst, wie ich es noch nie hatte. Den kannst du einem vierjährigen Kind geben und sagen, geh mit ihm raus zum Grasen“, stellt ihn sein Reiter vor. „Aber er hat eben auch eine Geschichte. Ich hatte ihn vor Jahren in Beritt von Gerd Sosath bekommen, weil er ein bisschen schwierig war. Dann war alles gut, aber er wurde verkauft. Ich habe ihn abgegeben, nachdem er achtjährig Fünfter im Großen Preis in Dubai geworden war. Er war ein bisschen speziell, aber alles war in Ordnung. Dann hat er sich in Oliva verletzt. Er kam zu mir zurück, wurde vom Tierarzt behandelt, von uns gepflegt. Und die Familie Halpap hat ihn für mich gekauft.“

Holger Wulschner hat nicht nur ein Faible für schöne, sondern auch für anspruchsvolle Pferde. Denn manches bei Diamant de Plaisir, den sie hier Dino nennen, erinnert an einen anderen seiner Cracks: „Auch damals bei Fine Lady haben mich alle ausgelacht und am Ende habe ich Recht bekommen. Als sie dann mit Eric Lamaze bei Olympia gestartet ist und Bronze gewann, ließ sie alle Deutschen hinter sich.“

Zurück zu Diamant, „der wird immer ein bisschen so bleiben, aber das stört mich auch gar nicht. Er darf nur nicht mehr so bocken im Parcours und muss sich mehr auf die Sprünge konzentrieren. Wir haben 20 Nachkommen von ihm, der Älteste ist vier, und die sind mega.“

Erinnerung an Empire

Bei der Erinnerung an einen anderen Sportpartner werden immer noch die Augen des Mecklenburgers, der eigentlich ein gebürtiger Brandenburger ist, ein wenig feucht. Denn es geht um seinen Lieblingshengst Sellerie Equipe Empire. Holger Wulschner hat den Kannan-Sohn in Dubai entdeckt und war sofort begeistert von diesem athletischen Hengst, der immer 100 % gab. Mit sechs Jahren gewann er in Oliva das Youngster-Finale. 2021 platzierte er sich in CSIO 3* Springen. 2022 in Drammen wurde Empire nach einem unglücklichen Unfall verletzt und musste in Folge dessen leider eingeschläfert werden.

„Ich bin ja eigentlich ein bisschen Sonntagskind, hatte immer Glück im Leben. Aber der Tod von meinem Vater und von diesem Pferd – das hat reingehauen. Meine Frau wollte gar nicht mehr in den Stall. Da hatten wir schon überlegt, ob wir mit allem aufhören. Wenn du einmal so ein Pferd hast, von dem du sagst, der hat alles… Wenn du mit dem aus dem Parcours kamst, drehte der sich um und schien zu fragen, war das alles. Der hat alles spielend einfach gemacht.“ Er schwärmt lange von ihm und hat auch schon sechs Nachkommen von ihm im Stall. „Die haben alle den Charakter von ihm. Die sind alle selbstbewusst.“

Paul Schockemöhle war der Einzige, dem er Samen dieses Hengstes verkauft hat. „Wenn ich jetzt von ihm Samen weggebe, dann nur an Leute, die unterschreiben, dass ich für den Nachwuchs das Vorkaufsrecht habe, und die Stute muss sporterfahren sein.“

„Nachdem das mit Empire passiert ist, habe ich meiner Frau noch einen Kannan gekauft. Einen Vierjährigen, obwohl ich eigentlich ja gar kein Kannan-Fan bin, den wir als Dreijährigen auf einer Koppel gesehen hatten. Wir waren nach Empires Tod ein paar Tage weggefahren, um Abstand zu finden. Auf der Rückfahrt sind wir dann zum Züchter. Der wollte eigentlich gar nicht verkaufen, höchstens halbe-halbe. Aber ich wollte den ja meiner Frau schenken, das ging also nicht. Wir haben ihn dann vierjährig gekauft, eigentlich viel zu teuer. Jetzt ist er sechs, gar kein typischer Kannan. Der sieht aus wie ein Blüter.“

„Dann hat Cian O’Connor angerufen“

Holger Wulschner ist keiner, der Pferde kauft und nach ersten Erfolgen schnell mit Gewinn weiterverkauft. „Auch Dorette war gekauft, um sie zu behalten.  Ich habe damals auf einem Turnier in Bonhomme zwei Fuchsstuten gesehen. Die eine war Chakaria, die hatte André Thieme aber gerade eine Woche vorher schon gekauft, und die andere war Dorette. Die ist auch ein bisschen speziell, aber irgendwas hatte das Pferd, was mich ansprach. Als ich mit ihr hier zum ersten Mal über einen Sprung bin, habe ich drei Runden gebraucht, um sie wieder einzufangen. Meine Frau, die mit auf dem Platz war, hat sich totgelacht. Ich habe dann erst mal niedrig mit ihr herumgespielt, ehe ich eineinhalb Jahre später in Münster zum ersten Mal einen Großen Preis mit ihr geritten bin.“ Sie wurden Siebte, und dann häuften sich auch gleich die Kauf-Offerten. „Zuerst kam Joseph Klaphake, aber ich sagte, nee, ich verkaufe nicht. Dann hat Cian O’Connor angerufen und bekam die gleiche Antwort. Was denn meine Schmerzgrenze sei? Dann habe ich ihm ganz frech eine hohe Summe genannt – und er sagte: Wann kann ich kommen? Er hat ein paar Sprünge gemacht. Innerhalb von zwei Tagen war das Geld auf dem Konto. Das Herz hatte weiterreiten gesagt, aber der Verstand sagte verkaufen. Denn der Betrieb kostet Geld.“

„Als Jana Wargers Dorette von ihrem Chef bekam, hat mich ihr Trainer angerufen und gefragt, was hast du mit dem Pferd gemacht? Ich habe ihm gesagt, schick sie erst mal auf die Koppel. Dann hat er am ersten Abend angerufen und erzählt, sie haben sie kaum wieder einfangen können. Dann hat sie mir immer wieder Videos geschickt und gesagt: Du hast Recht gehabt, seitdem ist es ein anderes Pferd. Die kann so ein Pferd reiten, mit Dorette hat sie von Anfang an einen Draht gehabt.“

„Schonend und pferdegerecht“

Wir sitzen im Casino mit Blick auf den großen Reitplatz. Neben dem Hausherrn verströmt ein schmurgelnder eiserner Kaminofen wohlige Atmosphäre.

Schonend und pferdegerecht, das sind zwei Fixpunkte in Holger Wulschners Philosophie, die er dann gepaart mit seinen Erfahrungen zur FN nach Warendorf mitbringt. Was daraus folgt, lässt sich am Beispiel Mbappés erzählen. Der Hengst von Million Dollar x Stakkato war als Fohlen zu Holger Wulschner gekommen. „Der ist dann als Vierjähriger an zwei Wochenenden jeweils eine Prüfung gegangen, hat zwei Wochen später die Leistungsprüfung in Handorf gemacht. Und von da an hat er dann keinen Sattel mehr getragen. Ein Jahr lang war der komplett nur auf der Koppel. Den haben wir jetzt erst wieder angefangen zu reiten. Alle machen sich immer Gedanken, warum meine Pferde so lange halten oder nicht verkauft werden. Das ist sicher ein Kostenpunkt, den sich nicht jeder leisten kann. Aber das ist immer unser Standpunkt gewesen: Die müssen auch mal runterfahren können. Dorette ist jetzt 16 und läuft besser als je. Catch Me von Contagio war jetzt Zweite mit Yuri Mansur bei den Dutch Masters und ist 17. Fine Lady ist lange gegangen. Die Pferde laufen bei uns in jungen Jahren eben nicht jede Woche auf einem Turnier.“

„Wir diskutieren in Warendorf immer über die Leistungsprüfung. Die war dann im Präsidium auf dem Prüfstand. Ich konnte dazu gar nichts richtig sagen, weil ich das bis dahin nie selber mitgemacht hatte. Es gab Kritik von den Züchtern, von den Hengsthaltern. Dann habe ich gesagt: Das passt ja, ich habe gerade einen passenden Hengst.“

„Rund 70 Sprünge in zwei Tagen: Das mache ich im ganzen Jahr nicht mit einem Vierjährigen“

Vor einem Jahr, nach der Präsidiums-Sitzung in Warendorf, stand die Hengstleistungsprüfung in Handorf an. „Und dann habe ich das alles mitgemacht: Mbappé das erste Mal auf den LKW geladen, sechs Stunden nach Handorf gefahren mit Stau und allem Drumherum. Dann in eine fremde Box – alles das erste Mal für den Hengst, genauso, wie es jeder Hengsthalter macht. Am ersten Tag, am Montag, mussten alle in der Halle reiten. Am Dienstag Teil-Parcours springen in der Halle unter Aufsicht, jeweils mit zwei Pferden im Parcours. Meiner das erste Mal in der fremden Halle: Ich fange an, aus dem Trab zu springen. Er hat dann rumgebockt und ich habe ihn erstmal gelassen. Dann waren das insgesamt so 25 Sprünge, die er da einschließlich der Lösungssprünge gemacht hat. Am selben Tag abends Parcoursspringen. In der anderen Halle haben wir zwei, drei Lösungssprünge gemacht. Dann war alles gut, er fuhr auch schon ein bisschen runter. Am nächsten Tag folgte der Fremdreiter-Test. Das Abspringen in der Halle, fünf, sechs Sprünge. Dann musste ich runter, der Fremdreiter drauf, auch noch mal drei, vier Sprünge. Dann ist er den Parcours gesprungen – und dann noch mal zwei, drei Sprünge höher gemacht. Dann ist er bei dem Fremdreiter top gesprungen. Nachdem ich das alles mitgemacht hatte, konnte ich anschließend in Warendorf auch die große Klappe riskieren.“

Das Ziel war es nicht, sondern nur, dass er sich gut präsentiert, aber dann hatte Mbappé auch noch das absolut beste Endergebnis der gesamten Hengstleistungsprüfung erbracht: 9,0 für sein Springvermögen, 8,8 gab es für Galopp, Leistungsbereitschaft und Gesamteindruck, dazu die 8,6 für die Springmanier. Insgesamt errechnete sich für Mbappé eine Endnote von 8,8.

„Aber hier stimmt doch was nicht“ war das Fazit, das Holger Wulschner hinterher im Präsidium der FN zog. „Wenn das unsere Ausbildungsskala ist, dass ein vierjähriger Hengst rund 70 Sprünge in zwei Tagen macht: Das mache ich im ganzen Jahr nicht mit einem Vierjährigen. Ich bin am Dienstagabend mit dem Hengst nach Hause, und der lag den ganzen nächsten Tag in der Box. Und der war trainiert! Da habe ich gesagt, jetzt kann ich auch verstehen, warum keine Pferde bei uns mehr alt werden. Das kann kein Pferd durchhalten.“

Das Plädoyer blieb nicht ohne Folgen: „Es hat ein Jahr gedauert, aber jetzt passiert da was. Aber es ist wie immer: Man kann eben nur dann in die Bresche springen, wenn man selber erlebt hat, was da abgeht.“

Das gilt nicht nur für Hengstprüfungen. „Mit Turnier-Veranstaltungen ist das genauso. Die Kosten sind zu hoch. Das kann keiner mehr bezahlen. Warendorf und die FEI bekommen von der Meldestelle alles hingespielt, und der Veranstalter zahlt. Natürlich muss der Laden auch von irgendwas leben, aber das passt alles nicht zusammen. Du musst dich als Turnierveranstalter verbiegen, dass du das Geld zusammenbekommst und das wird immer schwieriger, und zahlst dann. Ich habe zehn Jahre Turnier gemacht und jedes Jahr 50.000 bis 60.000 Euro an die FEI und die FN gezahlt fürs Nichtsmachen. Nur als Gebühren. Ich habe drei Jahre gekämpft, damit sich etwas ändert, und die haben mich abtreten lassen wie einen kleinen Jungen. Aber ich habe es wie ein sturer Mecklenburger jedes Jahr wieder angebracht. Dann haben sich Volker Wulff und Peter Hofmann mit eingeklinkt. Jedenfalls sind seit vier Jahren die FN-Kosten für die Turnierveranstalter halbiert.“

„Wir sind auch selber verantwortlich dafür, dass das Ansehen des Reitsports gelitten hat.“

Hinzu kommt, dass es immer schwieriger wird, Sponsoren zu finden, aber „wir sind auch selber verantwortlich dafür, dass das Ansehen des Reitsports gelitten hat. Wir müssen einfach eine bessere Aufklärung betreiben. Wenn ich sehe, was in den guten Profiställen mit den Pferden veranstaltet wird, wie die Pferde hofiert werden, die ja ihr Kapital sind, wie die gepflegt werden: Ich glaube nicht, dass einer von denen so mit seinem eigenen Körper umgeht. Die Pferde müssen sicher etwas leisten, aber die werden auch dementsprechend gepflegt. Und das kommt gar nicht rüber. Es heißt immer nur: Die Profis benutzen die Pferde nur. Klar, es gibt immer schwarze Schafe, die gibt es in jeder Branche. Das will ich gar nicht schönreden und die müssen auch bestraft werden.“

Zu Holger Wulschner kann jeder kommen und sich alles ansehen. „Wichtig ist, dass wir unseren Sport besser verkaufen müssen. Auch mal hinter die Kulissen schauen lassen, wie die Profi-Ställe es machen.“

Aber das Kapitel Turnier-Veranstalter ist für ihn abgeschlossen genauso wie das Thema Global Champions Tour. Er war schon mal dabei mit Starts in Mexiko und Miami und findet auch, „die Global Tour ist eine Bereicherung für unseren Sport, aber Nationenpreise haben einen anderen Kitzel. Wenn du da mit drei Mann antrittst, musst du abliefern. Mit Vierer-Mannschaften war es deshalb noch besser, weil das am Ende auch pferdegerechter ist.“

Ja, Nationenpreise reiten hat er noch auf seiner Bucket-Liste genauso wie den Großen Preis in Aachen, wenn seine jungen Pferde so weit sind: „Für mich war das immer das Größte, was man machen kann, für Deutschland im Nationenpreis zu starten. Das ist doch eine Ehre.“

Olympia in Paris ist für ihn als Reiter kein Thema, aber als Mitglied im Springausschuss: „Unser Olympiakader ist ja nicht sehr groß. Wir sind alle gespannt, wie das Weltcup-Finale ausgeht, weil da ja auch mit Hansi Dreher und Marcus Ehning noch zwei im engeren Kreis sind, bei denen wir uns freuen würden, wenn die jetzt noch mal abliefern würden. Mit André Thieme hat Otto Becker einen guten Plan gemacht, dass er jetzt 5* wie Hamburg und St. Gallen geht, damit er mit Chakaria erst einmal wieder richtig reinkommt. Im Springausschuss wird viel diskutiert, aber das letzte Wort hat der Bundestrainer. Es wird etwa acht Wochen vorher eine Longlist für Paris geben, und am Aachen-Wochenende wird entschieden.“

„Hansi Dreher hätte es einfach mal verdient“

Welche Pferde ihn im vergangenen Jahr besonders beeindruckt haben? „Ich fand Just Be Gentle von Christian Kukuk beeindruckend. Ich fand Zineday von Philipp Weishaupt richtig gewaltig. Das Pferd hat erstmal vom Reiter gelebt, der ihm die Sicherheit in den großen Parcours gegeben hat. Der hat das perfekt gemacht und ihn so weiterentwickelt. Er hat auch ganz klar den Fokus auf Olympia. Ich fand auch Hansi Dreher mit seinem Elysium gewaltig, wie er auf seine lockere Art das macht. Er hätte es einfach mal verdient, auch wenn es danach nicht immer geht. Ich glaube, bei ihm sind noch nicht alle Reserven ausgereizt. Der kann, wenn er richtig motiviert ist, auch als Reiter noch mal eine Schippe drauflegen. Er hat den Kopf frei und sagt inzwischen wie John Whitaker, wenn es mal an einem Wochenende nicht so richtig läuft, nächste Woche ist das nächste Turnier. So muss man es als Reiter auch machen. Wenn du nur zurückblickst, frisst dich dieser Sport auf. Der Sport macht dich demütig.“

Apropos John Whitaker, der ja auch kritisch angemerkt hat, dass viele Nachwuchsreiter mehr mit dem Smartphone beschäftigt sind, anstatt den anderen Reitern zuzusehen und von ihnen zu lernen. „Bei vielen meiner Kollegen oder Kolleginnen ist ja Social Media wichtiger als das Pferd. Für mich ist es sehr beängstigend, was da manchmal auf den Plattformen abgeht. Viele Leute sind einfach nur schlecht informiert.“ Auch hier gilt wieder, er weiß, wovon er spricht: „Einer meiner Hengste hat immer Langeweile und spielt mit wachsender Begeisterung mit seinem Ball, der in der Box hängt. Zehn Minuten spielt er damit. Das haben meine Mädchen einmal gefilmt und gepostet. Ganz klar, Turnierpferde, die haben Langeweile, die kommen ja nie raus, lauteten die Kommentare. Ich schwöre: Unsere Pferde gehen morgens in die Führmaschine, die werden dann geritten und gehen am Nachmittag immer auf die Koppel. Aber das mit dem täglichen Koppelgang war bei mir auch ein Lernprozess, davor hatte ich wegen der Verletzungsgefahr immer Angst – bis ich dann mit Marcus Ehning mal darüber gesprochen habe. Bei Diamant läuft eine Stute nebenan auf der Koppel, das macht gar nichts. Meine sind schon als junge Pferde immer auf der Koppel. Seitdem ich das mache, ist noch nie etwas passiert. Bei uns sind sie wirklich jeden Tag auf der Koppel – es sei denn, es schneit.“

Was folgt daraus? „Mit Unwissenheit oder um irgendwas zu schüren wird etwas ins Netz gesetzt, was überhaupt nicht der Wahrheit entspricht. Deswegen müssen wir einfach bessere Aufklärung betreiben. Können alle zu mir kommen – aber die, die so einen Mist schreiben, die kommen ja gar nicht. Ich kenne den Breitensport und den Spitzensport und ich weiß, dass es im Spitzensport sicher immer auch schwarze Schafe gibt, aber das Gros der Leute pflegt sein Gut. Wir müssen die Leute aufklären, dass es nicht so ist, wie sie es darstellen, uns aber auch wehren bei Verleumdung.“

„Dann trennt sich die Spreu vom Weizen“

Gerade für die Jugend sei dieser Sport schon gut. Denn man lernt etwas sehr Wichtiges: „Du kannst noch so teuer einkaufen und deine Eltern können alles bereitstellen – am Ende bist du die gut eine Minute allein im Parcours und du musst selber abliefern. Da kann dir keiner dabei helfen. Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen, und was Du gibst, geben die Pferde zurück.“

Turniere will er nicht mehr veranstalten, aber trotz mancher frustrierender Erfahrungen bleibt Holger Wulschner einer, der nicht nur Reiter und Züchter ist, sondern sich einbringt, sich engagiert. Als Präsidiumsmitglied in der FN, als Aktivensprecher, als Vermittler zwischen den Reitern und dem Bundestrainer manchmal. „Bei der FN war ich auch schon öfter mal an dem Punkt, dass ich mich gefragt habe, ob das alles sein muss. Das ist auch meine freie Zeit, die ich damit verbringe, und sind auch meine Kosten. Es gibt viele, die hinterm Rücken meckern, aber etwas an der richtigen Stelle anbringen, kann helfen. Corona hat uns in diesem Punkt etwas geholfen durch die Online-Sitzungen seitdem. Die kommen mir schon entgegen, weil ich ja immer 450 Kilometer nach Warendorf vor mir habe. Bis dahin waren es schon immer einige Tage im Jahr, die ich in Warendorf war, durch Springausschuss, Präsidium. Ich habe das dann immer auch genutzt, um meine Pferdepässe gleich umzuschreiben. Bei mir kommen als Aktivensprecher dann schon mal Sachen an, die sich keiner traut zu sagen. Ich kann die dann so ein bisschen sortieren, wenn sich mal einer schlecht behandelt fühlt. Ich habe damit auch kein Problem. Ich bin jeden Sonntag gut informiert über die Ergebnisse, manchmal vielleicht sogar besser als unser Bundestrainer, und kann dann bei Startanfragen vielleicht auch mal ein bisschen helfen. Ich kenne auch viele Ergebnisse von welchen, die noch weit weg vom Kader sind. Ich kann da manchmal etwas vermitteln bei neuen Reiter-Pferd-Paarungen.“

 Vielen Dank Holger Wulschner für das interessante Gespräch und die warme Gastfreundschaft!