„Kein Reiter hat aus finanziellen Gründen oder wegen des Erfolgs mit dem Sport angefangen. Alle haben angefangen, weil sie diese große Leidenschaft für die Pferde teilen.“ Interview mit der Deutschen Meisterin Stephi de Boer

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Stephi de Boer hat den großen Sprung geschafft: Mit einer großen Portion Mut, enormer Willensstärke, großer Beharrlichkeit und viel Ehrgeiz kämpfte sich 35-Jährige in diesem Jahr erfolgreich auf die große 5-Sterne-Bühne. Im Juni sicherte sich die in ihrem Sportstall in Osnabrück beheimatete Springreiterin bei den Deutsche Meisterschaften in Balve zudem die Goldmedaille in der Damen-Konkurrenz. Ganz nebenbei bestritt sie 2025 ihren ersten Nationenpreis für Deutschland und durfte sogar beim CHIO Aachen starten. Aber der Weg nach oben war schwer, sehr schwer, sagt die Top-Ausbilderin für junge Pferde. Stephi de Boer hat sich hohe Ziele gesetzt, immer wieder an scheinbar verschlossene Türen gerüttelt, Rückschläge hingenommen und daraus gelernt, Zweifel zur Seite geschoben und niemals aufgegeben. 

Wir haben mit ihr über „viele erste Male“, den steinigen Weg vom 2-3-Sterne- auf das 4- und 5-Sterne Niveau gesprochen. Und darüber, dass es sich lohnt zu kämpfen. Immer. 

Musst Du Dich selber manchmal kneifen? Wie erlebst Du Deinen Aufstieg gerade? 

Stephi de Boer: „Ich hatte ja schon 2024 ein unheimlich gutes Jahr. Irgendwie bin ich aber noch so ein bisschen im Schatten herumgeritten. Dieses Jahr ging es mit Hagen super los, ich wurde mit Querida Vierte im Großen Preis, und so lief es dann weiter. Es gibt dieses Jahr viele erste Male für mich. Der Nationenpreis in Dänemark war ein erstes Mal. Mein 5-Sterne-Debüt in Hamburg war eine Premiere. Dann wurde ich Deutsche Meisterin und durfte anschließend nach Aachen. Das ist alles irgendwie schwer zu realisieren, weil ich jemand bin, der immer das Optimum will und mehr als eigentlich möglich ist. Aber natürlich ist das schon echt ein schönes Gefühl gerade.“ 

Wie hat es mit Dir und der Liebe zu den Pferden angefangen?

Stephi: „Ich saß tatsächlich auf dem Pferd, bevor ich überhaupt laufen konnte. Mein Vater ist Niederländer, der ist im Springen und in der Vielseitigkeit auch recht hoch geritten, ist dann leider mit Anfang 20 erkrankt und konnte nicht mehr reiten. Meine Mutter ist auch bis Grand Prix in der Dressur geritten. Meine Eltern haben mir das Reiten sozusagen in die Wiege gelegt. Wir hatten zu Hause einen Hof und ich bekam ein Pony. Ich war auch immer schon sehr ehrgeizig. Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der ich nicht geritten bin.“ 

Einen direkten Weg aus der Schule in den Stall gab es aber nicht. Nach dem Abitur musste Stephi de Boer erst einmal ein Studium absolvieren, das war der Wunsch der Eltern. Sie studierte Psychologie wusste aber damals schon, dass ihr Platz bei den Pferden ist. Seit 2020 betreibt Stephi de Boer einen Ausbildungs-und Trainingsstall in Osnabrück mit zehn bis 15 Pferden. 

Woher bekommst Du Deine Pferde?

Stephi: „Ich bin jetzt niemand, der sich fertige Pferde kaufen kann. Ich kaufe die Pferde immer ganz jung, oft sind sie auch sehr schwierig. Meine Kollegen sagen immer, ich bin bekannt dafür die schwierigen Pferde gut auszubilden. Vermutlich ist mein größtes Merkmal, in sehr jungen und grünen Pferden ihr Potenzial zu erkennen. Ich fange häufig an mit einem Pferd zu arbeiten, bei dem sich viele Andere fragen, was ich mit diesem Pferd will. Für mich ist es wichtig, in einem jungen Pferd irgendetwas zu sehen, was mir so viel Hoffnung gibt, dass ich den langen Weg einschlage. Das kostet natürlich Zeit. Hätte man mich vor anderthalb Jahren gefragt und mir dieses Jahr mit der DM und Aachen prophezeit, ich hätte es nicht geglaubt. Dass ich in Aachen mit vier Pferden am Start sein konnte, zwei davon die große Tour laufen können, das war ein sehr langer Weg.“ 

Hast Du eine spezielle Ausbildungs-Philosophie?

Stephi: „Bei der Ausbildung der jungen Pferde ist es mir wichtig, dass man ihnen ausreichend Zeit gibt. Ich möchte, dass die Pferde zwischendurch auch mal wieder sechs Wochen nur auf die Weide gehen. Ich gebe den Pferden Zeit. Jedes Pferd ist unterschiedlich und benötigt individuelles Training. Ebenfalls ist mir wichtig, dass die Pferde noch ´Pferd sein dürfen.´Dies dürfen sie bei mir jeden Tag auf der Weide oder dem Paddock ausleben. Wenn man länger etwas von seinem Sportpartner haben möchte, muss man behutsam mit ihm umgehen. Pferde, die langfristig gesund und dem Sport mit Motivation erhalten bleiben sollen, können nicht jedes Wochenende auf einem Turnier gehen sowie jedes Springen gewinnen. Das ist mit Pferdebesitzern natürlich nicht immer ganz so einfach, weil die oft schnellstmöglich Erfolge sehen wollen. Das kann ich auch verstehen, die Ausbildung ist ja auch teuer.“ 

Das ist auch ein Grund, warum Stephi de Boer ihre Pferde wie Querida und ihr Sieger Pferd bei der DM, Obvious and Pure Z, selber gehören. Und diese Top-Pferde auch nicht zum Verkauf stehen. 

Wie hast Du Querida gefunden und wann ist der Funke übergesprungen?

Stephi lacht: „Das war in der Zeit nach meinem größeren Unfall. Damals hatte ich mir die Hüfte links gebrochen und das Schlüsselbein oben rechts und hatte dazu noch ein paar Thrombosen in Armen und Beinen und lag eigentlich nur auf dem Sofa oder im Bett. Da hatte ich natürlich Langeweile und schaute mir am PC die Kollektion der Verdener Pferde an. Da war auch ein Video von Querida dabei und sie gefiel mir. Da war Querida fünf. Eine Bekannte von mir war sie auf dem Video geritten: „Ein ganz nettes Amateur-Pferd“, meinte sie damals. Aber mir gefiel sie irgendwie, wie sie die obere Latte im Visier hatte. Die Art, wie sie sich bewegte. Am Tag darauf war dann die Online-Auktion. Und ich habe einfach mal geboten. Ein weiteres Gebot gab es allerdings nicht und somit hatte ich das Pferd gekauft. Dabei kannte ich es nur von Videos, hatte es noch nie live gesehen. Ein Tag später hat mich meine Schwester dann dort hingefahren, um die Stute abzuholen. Dann bin ich zur Box gegangen, die Stute schlief, aber in dem Moment, als ich ,Hallo‘ sagte, drehte sie sich zu mir um und hat gewiehert. Das war so süß. Meine Schwester sagte nur: Von wegen Handels-Pferd gekauft. Die wird unseren Stall nie wieder verlassen.“ 

Natürlich hat sie längst lukrative Angebote für die 10-Jährige Hannoveraner Stute erhalten…

Stephi: „Querida ist mittlerweile auf der ganzen Welt bekannt, von überall her gab es Anfragen und Angebote und die wurden jetzt auch immer besser. Aber ich bleibe da eigentlich ganz cool. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, sie zu verkaufen. Auch wenn das Risiko natürlich da ist, wenn man ein paar Millionen für so ein Pferd bekommen würde. Die Pferde gehen bei mir jeden Tag auf die Weide. Egal ob es regnet und auch im Winter, wenn es geht. Wenn man sich dazu entscheidet, Pferde zu halten darf man darüber nicht nachdenken. Daher mache ich mir da auch keinen großen Druck.“

Der Druck kommt schon mal von außen und auch von Kollegen…Stephi de Boer erzählt von einer für sie sehr unangenehmen Situation beim Maimarkt Turnier in Mannheim in diesem Jahr….

Stephi: „Ich hatte so ein kleines Down. Da haben mich ein paar Leute ganz schön unter Druck gesetzt. Ich musste mir Sprüche anhören wie, dass ich das Pferd doch lieber verkaufen solle, weil ich ja eh nie in den großen Sport komme. Das sollte doch lieber jemand anderes machen, bei dem man das Pferd auch der großen Bühne sehen kann. Das war für mich schon sehr hart und auch schwer. Da in Mannheim dann noch fokussiert zu bleiben. Da habe ich mir dann auch selber Gedanken gemacht, ob das der richtige Weg ist, weil ich mich da auch noch nicht in Aachen oder irgendwo gesehen habe. Ich habe dann meine Schwester angerufen und habe geweint, weil ich mir auch selber so einen Druck gemacht habe. Aber sie und mein Papa haben mich wieder aufgebaut. Jetzt im Nachhinein, ist das natürlich eine große Genugtuung.“

Auch weil Querida (v. Qualito) nicht das einfachste Pferd ist…

Stephi: „Sie hat ganz viel Qualität, ist ganz kompliziert, schwierig und hat super viel Blut. Heute sieht das immer alles super einfach aus, aber für Querida braucht man schon eine gute Gebrauchsanweisung. Ich reite sie zum Beispiel mit relativ langen Zügeln, du darfst sie nicht so sehr anpacken. Auch das Abreiten und anschließende Einreiten in den Parcours muss perfekt getimt sein, weil sie so viel Adrenalin hat.“

Wie habt ihr zusammen den großen Sprung von den 2-3 Sterne Turnieren auf die 5* Bühne geschafft?

Stephi: „Das war super schwer. Erst einmal habe ich niemanden als Sponsor oder Befürworter im Background, der sagt, die soll jetzt mal irgendwo reiten. Ich kann und will mich auch nicht irgendwo einkaufen, das ist nicht mein Ziel. Ich wollte es immer aus eigener Kraft schaffen. Ich bin auch nicht in eine Familie geboren, wo die Eltern selber schon im Großen Sport aktiv gewesen sind, sprich, die Kontakte fehlen. Ich bin also einfach viele 2- und 3- Sterne Turniere geritten, auch mal im Ausland und war auch echt gut unterwegs. Ich war zum Beispiel schon mehrmals über 1,50m richtig gut platziert, in Spanien, in Holland und Belgien. Und wollte dann 2024, weil es auch bei mir fast in der Nachbarschaft ist, in Hagen bei Horses and Dreams die 3-Sterne-Tour reiten. Ich habe mal beim Bundestrainer angeklopft, aber der hatte meine Erfolge damals leider nicht so mitbekommen. Ich bekam eine Absage und stand noch nicht mal bei der 2-Sterne-Tour auf der Liste. Ich war echt enttäuscht, sauer und verletzt. Dann habe ich all meinen Mut zusammengenommen und in Warendorf angerufen. Gitta Auer hat mir dann einen netten Tipp gegeben und gesagt, ich solle doch mal den Holger Wulschner anrufen (damals noch im Springausschuss aktiv). Das habe ich dann auch gemacht. Ich schätze Holger auch sehr. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich zwei unheimlich gute Pferde habe und auch schon größere Turniererfolge aus dem Ausland vorweisen kann. Er sagte, ich solle Otto Becker einfach mal zwei Videos schicken von den Pferden und einen netten Text dazu. Das habe ich dann auch gemacht. Dann rief Otto mich zurück und sagte, das sieht ja ganz gut aus, oder? In der Folge bekam ich die Startgenehmigung für die 2-Sterne-Tour in Hagen. Ich habe dann den Großen Preis gewonnen im Stechen, Richi Vogel war Zweiter. Da habe ich gezeigt, dass ich auch schnell reiten kann. Und dann bekam ich von Holger Wulschner die Zusage, dass ich in Hohen Wieschendorf auf 4-Sterne Niveau starten durfte. Dann war ich in Redefin, Wiesbaden und Balve vorne platziert. Immer mit den zwei Pferden. Ich wurde auch als Fünfte beim Nationenpreis mitgenommen. Aber trotz vieler Platzierungen durfte ich dann wieder in Münster nicht reiten. Da war ich echt angefressen, die Pferde waren super in Schuss und wieder durfte man nicht los. Dann habe ich mich kurzfristig entschieden, im Herbst noch einmal nach Spanien zu fahren für 2 Wochen. Da habe ich wieder den 3-Sterne-Großen Preis gewonnen. Danach durfte ich im Dezember in Frankfurt reiten, in Leipzig dagegen wieder nicht.“

Stephi de Boer, die wie sie selber sagt, auch schon mal stur sein kann, suchte erneut das Gespräch mit dem Bundestrainer… 

Stephi: “Ich all meinen Mut zusammengenommen und Otto Becker angerufen und gefragt, ob er sich mal Zeit nehmen könnte für ein längeres Gespräch. Dann habe ich ihm meine Situation geschildert und gesagt, dass ich mich nicht ernst genommen fühle, ich nicht ab und an mal schöne Turniere reiten möchte, sondern dass ich nach oben will, mein Ziel Aachen ist. Das wäre noch alles sehr weit weg. 4- und 5-Sterne seien ja noch etwas anderes als 2- und 3-Sterne, war seine Antwort. Mit einer Startgenehmigung in Leipzig konnte er mir nicht helfen. Ich habe mich dann auf die Außen-Saison konzentriert. 

In Hagen in diesem Jahr durfte ich dann starten, wurde am Ende Vierte im Großen Preis. Im Anschluss kam Otto ins Stallzelt und sagte: „gut, gut“. Danach durfte ich eigentlich überall starten, in Mannheim, in Hamburg. Das war für mich auch ganz viel wert. Dann hatte ich noch ein Nationenpreisdebüt in Dänemark. Da war der Co-Bundestrainer Ralf Runge mit und mit dem habe ich mich echt gut unterhalten. Das hat dort alles sehr viel Spaß gemacht. So bin ich einfach peu a peu ein bisschen mehr aufgefallen, auch durch diese Konstanz. 

Dann kam die DM in Balve mit dem Sieg und trotzdem habe ich noch gezittert, ob es mit dem Startplatz in Aachen klappt.“ 

Was steht noch auf Deiner Bucket Liste?

Stephi lacht: „In den letzten Wochen wurde ganz viel abgehakt. Den Großen Preis in Aachen reiten und ein Nationenpreis auf 4 oder 5 Sterne Niveau stehen aber noch auf der Liste. 

Was macht für Dich heute einen guten Reiter aus?

Stephi: „Dass man sich auf ein Pferd einstellen kann und man es auch so lässt, wie es sein möchte. Und nicht versucht, das Pferd zu ändern. Ein guter Reiter ist für mich jemand, der mit einem Pferd langfristig gute Runden zeigen kann. Wenn ältere Pferde auch noch im Großen Sport gehen, dann ist schon ganz viel richtig gemacht worden. Es liegt ganz viel auch an gutem Pferdemanagement. 

Ein gefühlvoller Reiter für mich, dem ich auch gerne auf dem Abreiteplatz zusehe und mit dem ich mich auch gerne unterhalte, ist Steve Guerdat. 

Entwickelt sich der Reitsport in die richtige Richtung?

Stephi: „Die größte Baustelle, die wir im Reitsport momentan haben, ist, dass wir nicht transparent genug sind. Ich würde auch gerne Leute zu mir einladen, damit sie sehen, wie gut es meine Pferde haben. Die sind den halben Tag auf der Weide, kommen noch in die Führmaschine, ich gehe ausreiten, die haben schöne Boxen. Die meisten wissen gar nicht, wie viel wir uns um unsere Pferde kümmern. Die haben es besser, als ich es habe. Die Box meiner Pferde ist größer als mein Schlafzimmer.“

Was sagst Du Leuten, die den Sport abschaffen wollen

Stephi: „Der Sport ist so besonders, weil man ein Tier als Partner hat und der Sport mit so viel Leidenschaft verbunden ist. Kein Reiter hat aus finanziellen Gründen oder wegen des Erfolgs mit diesem Sport angefangen. An Anfang steht immer das Pferd, nicht Geld und der Erfolg. Keiner hat angefangen und wusste, wo er enden wird in diesem Sport. Alle haben angefangen, weil sie diese große Leidenschaft für die Pferde teilen. Diesen Sport abzuschaffen wäre echt schrecklich.“

Text und Interview: Corinna Philipps

Fotos: Julie Suhr