„Die Vorfreude auf die WM in Aachen ist riesengroß !“ Interview mit Bundestrainer Otto Becker
Im Interview mit spring-reiter.de: Otto Becker. Foto: Lafrentz

„Die Vorfreude auf die WM in Aachen ist riesengroß !“ Interview mit Bundestrainer Otto Becker

„Wo Licht ist, ist auch Schatten“, wusste nicht nur Goethe. Ein Schatten liegt derzeit auch auf dem Springsport, die neue Blood-Rule der FEI und der Schlaufzügel-Auftritt vom Olympia-Sieger Christian Kukuk sorgen für nicht immer sachliche und heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit und den sozialen Medien. Wir haben mit dem Bundestrainer Otto Becker über die neue Regel, über die Schlaufzügel-Affäre und den großen Lichtblick – die Weltmeisterschaft in Aachen 2026 – gesprochen. Außerdem hat uns Otto Becker verraten, wer ihn in diesem Jahr besonders beeindruckt hat. 

Es gibt derzeit sehr emotional aufgeladene Diskussionen um den Springsport, unter anderem auch wegen der Neufassung der sogenannten Blood Rule. Kritiker befürchten, dass der Tierschutz nicht mehr an erster Stelle steht. Wie siehst Du das?

Otto Becker: „Der Tierschutz hat für unseren Verband, für uns als Trainer und für jeden Reiter oberste Priorität. 

Der Internationale Jumping Riders Club hat nach Vorfällen bei den letzten Olympischen Spielen zusammen mit der FEI die neue Regel vorgeschlagen. Diese wurde bei der FEI-Generalversammlung in Hongkong mit 20 Gegenstimmen verabschiedet. Unsere FN hat sich gegen die Änderung ausgesprochen.

Die neue Bestimmung legt fest, wie bei jedem Auftreten von Blut am Pferd zu verfahren ist. Automatisch wird ein Tierarzt hinzugezogen und entscheidet zusammen mit der Ground Jury, ob ein Pferd bei Mikro-Verletzungen weiterhin starten darf, also „fit to compete“ ist. Ist die Ausrüstung oder der Reiter für den Vorfall verantwortlich erhält dieser automatisch eine Verwarnung. Bei der zweiten Verwarnung innerhalb von 12 Monaten gibt es eine Geldstrafe von 1000 CHF und eine automatische einmonatige Sperre. Die Sperre ist neu und hat für die Reiter größere Konsequenzen als vorher. Ich bin gespannt wie die neue Regel sich in der Praxis auswirkt, vertraue aber den Tierärzten und Stewards auf den internationalen Turnieren, dass der Tierschutz nach wie vor gewährleistet ist.“

Wie gut kannst Du mit Krisen im Sport umgehen? 

Otto Becker : „Krisen muss man bewältigen!

Außerdem haben Sie mich nach 17 Jahren als Bundestrainer mit zu der Person gemacht, die ich heute bin. Man kann auch persönlich daran wachsen. 

Die ersten eineinhalb Jahre waren sehr schwierig, sehr emotional. Erst nach dem Sieg bei der WM in Lexington 2010 mit dem Team konnten wir in Ruhe arbeiten. 

Nun gibt es abermals Kritik. Christian hat einen Fehler gemacht, diesen eingestanden und sich öffentlich entschuldigt. Und er hat meinen Respekt dafür, dass er sich der Presse und der Öffentlichkeit gestellt hat. Persönlich war es mir wichtig, bei diesem Pressegespräch in Stuttgart dabei zu sein. Jetzt schauen wir aber auch wieder nach vorne.“ 

Wer hat Dich in diesem Jahr besonders beeindruckt?

Otto Becker: „Grundsätzlich können wir auf eine sehr erfolgreiche Saison mit vielen Höhepunkten zurückblicken. Eine Team-Bronze-Medaille bei der EM und Einzelgold waren ein toller Erfolg. Und auch wenn man die Nationenpreis-Ergebnisse sieht, können wir im Großen und Ganzen zufrieden sein. Beim Super Grand Prix in Prag in dieser Woche sind fünf Deutsche dabei und der Weltcup lief ebenfalls gut an.

Besonders beeindruckt hat mich in dieser Saison Sophie Hinners. Was Sophie in diesem Jahr mit verschiedenen Pferden geleistet hat, das war schon herausragend. Sie hat starke Nerven, die braucht man auch. Das ist eine unserer Top-Reiterinnen, auch was die Konstanz betrifft.“

Ähnlich stolz ist Otto Becker auf seinen Europameister Richard Vogel

Otto Becker: „Ja, und ich kann sagen, dass es eine sehr angenehme Zusammenarbeit ist. Wir liegen in vielen Dingen auf einer Wellenlänge und er hält sich an Absprachen. Außerdem haben wir auch denselben Humor. Das macht wirklich Spaß.“

Haben die Bronze-Medaillen-Gewinner der Europameisterschaft in A Coruna einen Vorteil im Hinblick auf die Nominierung für die WM in Aachen 2026? 

Otto Becker: „Die Reiter aus dem Olympiakader haben natürlich die besten Chancen, müssen Ihre Form aber bestätigen.

Wir haben immer gesagt, dieser Kader ist der feste Stamm, aber keine geschlossene Gesellschaft. Da kann jeder Zeit jemand aus dem Perspektivkader oder einer, der im Moment gar nicht im Kader ist, dazu kommen. Zum Beispiel, wenn ein Reiter ein neues Pferd bekommt oder konstant top Leistungen zeigt. 

Und ja, wir haben die EM-Reiter besonders im Auge. Pferde und Reiter müssen fit und gesund sein . Die WM im eigenen Land, in Aachen, das ist etwas ganz Besonderes. Vielleicht erlebt man das in einem Reiterleben nur einmal. Die Aktiven machen ganz individuelle Pläne und sprechen die mit uns ab. Wir hören uns natürlich im Vorfeld und bei der Planung die Gedanken der einzelnen Reiter an. Sie verzichten im Vorfeld auf viel, lassen einige Turniere weg, um sich zu qualifizieren. Die Pferde werden gezielt eingesetzt, um in Topform dabei sein zu können. Und wenn man nominiert ist, hofft man das bis zur WM nichts mehr passiert.“

Aber sind ein Olympiasieger und ein Europameister nicht per se gesetzt?

Otto Becker: „Wenn sie gesund und in Form sind, ja. 

Die heiße Phase der Sichtungen wird im nächsten Jahr im Mai, Juni und Juli sein, wenn in Europa die wichtigen Nationenpreise stattfinden, beginnend mit dem Rolex-Grand Prix in Aachen im Mai. Dann müssen wir überlegen, wen nominieren wir. Nächstes Jahr ist die WM in Aachen erst im August. Und da gilt es bei der Vielzahl der Höhepunkte, gut zu planen und zu managen, damit wir in Aachen topfitte Pferde haben.

Es kann sein, dass wir schon zum ersten Nennungsschluss Ende Juni einige für die WM nominieren, aber nicht, ohne die Flexibilität zu verlieren. 

In der jetzigen Wintersaison haben die Reiter unterschiedliche Pläne. Ein paar Reiter gehen wieder nach Wellington in den USA, wie André Thieme, Christian Kukuk, Richi Vogel und Rene Dittmer. Andere zieht es nach Doha, weil es da im nächsten Jahr auch mehrere 5*-Turniere gibt. Der eine oder andere wird in die Emirate gehen, wo Sophie Hinners zum Beispiel immer war. Außerdem sind wir mitten in der Weltcup Saison.

Mitte Februar haben wir in Abu Dhabi schon den ersten 5*-Nationenpreis.“

Werden die Nationenpreise wieder so eine Art Sichtung sein?

Otto Becker: „Es ist seit vielen Jahren so, dass wir auf allen großen Turnieren sichten. Trotzdem sind für mich immer die Nationenpreise sehr wichtig, weil ich Reiter und ihre Pferde da am besten kennenlerne. Und ein Nationenpreis ist für die Reiter immer noch eine Auszeichnung und eine spezielle Herausforderung. Man reitet in einem Team für sein Land, das ist etwas ganz Besonderes. Da erlebt man auch mal die ein oder andere Überraschung. Das sind oft Erfahrungswerte und wenn man die erlebt und überstanden hat, kann man in der Regel überall bestehen.“

Es kann also noch Überraschungen geben?

Otto Becker: „Klar, Überraschungen sind immer möglich.

Alle müssen erstmal gesund bleiben und Ihre Leistungen bestätigen.“

Wenn in der Vorbereitung die Pferde seltener eingesetzt werden, erhöht das den Druck, dass sie dann auch liefern müssen?

Otto Becker: „Den Druck haben die Reiter sowieso, übrigens sind für uns konstante Leistungen ganz wichtig. Wir sehen immer wieder wie nahe die Nationen beieinander liegen, da darf man sich keine Fehler erlauben.

Über eine wichtige Frage haben wir immer wieder, auch mit den Aktiven, diskutiert: Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Nominierung? 

Ist es gut, wenn man früh nominiert, oder ist es besser, wenn man den Druck aufrechterhält und spät nominiert. Wir haben das immer flexibel gehalten, bis sich die Paare herauskristallisiert haben. Und dann waren manchmal zwei, drei Paare klar, und der Vierte hat sich erst im letzten Moment herausgeschält. Ich erinnere mich an Olympia in Rio, da hatten wir fünf Weltklasse-Paare. Alle auf einem Niveau. Da haben wir sehr früh nominiert und Ihnen bei der Planung freie Hand gelassen: Macht das, was ihr für richtig erachtet. Da war es für uns zwar schwieriger, die finale Entscheidung zu treffen, aber für die Reiter war es besser.

Wir haben im nächsten Jahr auch einige ältere Pferde dabei, da ist die Planung etwas anders, als bei jüngeren Pferden, die sich vielleicht ein-, zweimal öfter beweisen müssen. Auch da kann es unterschiedlich Wege geben. Das versuchen wir bestmöglich mit jeden Einzelnen zu planen. Wenn man viele Alternativen hat, ist es schön, aber es ist auch schwieriger bei der Nominierung. Aber aus der Erfahrung kann ich sagen, wir können froh sein, wenn wir am Ende vier, fünf Top-Paare auf diesem Niveau haben.“

Arbeitest Du sehr eng mit den Reiter-Pferd-Paaren zusammen? Siehst Du sie regelmäßig auch im Training?

Otto Becker: „Ab und zu, aber viel weniger als meine Kollegin Monica Theodorescu. Die Dressurreiter reiten ja viel weniger Turniere. Dadurch machen die Trainer mehr Lehrgänge oder gehen zu den Reitern nach Hause. Das findet bei uns nicht so oft statt. Diejenigen, die bei mir in der Umgebung wohnen, zum Beispiel in Riesenbeck oder Marcus Ehning und Christian Ahlmann, die sieht man öfter. Dadurch, dass alle so viel unterwegs sind, sehe ich die meisten Reiter eher auf den Turnieren. Unser Tierarzt Jan-Hein Swagemakers fährt zusätzlich in die Ställe und verschafft sich einen Überblick. Vorletzte Woche war er in Pfungstadt bei Sophie Hinners und hat sich die Pferde angesehen. 

Die Jugendtrainer trainieren natürlich viel mehr. Das gilt auch für Ralf Runge, der mich unterstützt. Die alten Hasen, die kennen das Geschäft, da bin ich mehr Manager als Trainer. Jüngere oder neue Reiter brauchen mehr Unterstützung, da versuche ich zu helfen und zu trainieren. Wir müssen einfach den Überblick behalten, was passiert in den Ställen und mit den Pferden. Wir können super happy sein, welche Super-Pfleger-Truppe wir im Moment haben, die sich alle gut verstehen und die auch gut auf unsere Pferde aufpassen.

Es gibt Reiter, die sind offener und transparenter. Das wissen wir zu schätzen. Und dann gibt es die, denen muss man auch mal was aus der Nase ziehen oder einmal mehr um die Ecke gucken. Aber im Großen und Ganzen haben wir einen Top Team und einen super Team-Spirit.“

Was macht Deinen Job als Bundestrainer aus? 

Otto Becker: „Ich habe das Glück gehabt, mein Hobby zum Beruf zu machen. Ich bin ja selber lange geritten und kenne alle möglichen Situationen aus eigener Erfahrung. Und jetzt als Bundestrainer habe ich einfach die Möglichkeit, weiter im Top-Sport zu bleiben. Das macht nach wie vor Spaß. Es sind die sportlichen Höhepunkte, auf die man hin arbeitet. 

Ich habe mir letztes Jahr die Entscheidung um eine Vertragsverlängerung nicht leicht gemacht, weil ich ja wusste, dass die Reiter nach 16 Jahren vielleicht mal ein neues Gesicht sehen wollen. Ich habe, als die Entscheidung anstand, lange überlegt und auch mit meiner Familie gesprochen, mit ein paar Vertrauten, mit ein paar wichtigen Reitern, mit den Aktiven-Vertretern. Bis auf wenige Ausnahmen gab es da eine breite Zustimmung. Auch die FN wollte weiter mit mir zusammen arbeiten. Und weil ich noch fit bin, habe ich dann noch mal verlängert. Wenn ich kein gutes und offenes Verhältnis mit den Reitern hätte, dann wäre das nicht passiert. Dann hätte ich es nicht gemacht. Außerdem haben wir einen super Springausschuss, auf den ich mich blind verlassen kann. Peter Hofmann ist nach wie vor Ausschussvorsitzender und mit Marco Kutscher, Philipp Rüping und Ralf Runge haben wir uns stark verjüngt und für die Zukunft neu aufgestellt.

Mein Glück ist , dass ich unabhängig bin und es mir erlauben kann, meine Meinung zu sagen.“

Text und Interview: Corinna Philipps