Exklusiv-Interview mit Marco Kutscher: „Man kann in dem Sport viel erreichen, aber man muss auch bereit sein, sich zu quälen!“

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Er ist einer, den selbst die Erfolgreichen um Rat fragen. Marco Kutscher ist ein Stilist, ein feiner Ausbilder und begnadeter Reiter. Der 48-Jährige gehört unumstritten zu den Besten. Er hat viel erreicht, wurde Doppel-Europameister, holte Bronze bei den Olympischen Spielen. Und er ist mit sich im Reinen. In diesem Jahr hat er sich mit zahlreichen Grand Prix Siegen eindrucksvoll zurück auf der großen Bühne gemeldet. spring-reiter.de hat mit Marco Kutscher über die großen Veränderungen im Springsport, über Fleiß und oft mangelnde Grundlagen gesprochen und er hat wertvolle Tipps für den Nachwuchs gegeben. Außerdem hat der Spitzenreiter verraten, welches Top-Pferd er gerne mal ausprobieren würde.  

„In diesem Jahr bin ich auf jeden Fall erfolgreicher gewesen, als in den vergangenen Jahren, ja!“, lacht Marco Kutscher im Interview mit spring-reiter.de. Er wurde dieses Jahr mit Aventador S (v. Armitage) Fünfter beim Weltcup in Leipzig, gewann mit dem zehnjährigen Fuchs den Großen Preis von Holstein auf Hof Waterkant, siegte mit Outrageous Charmer (v.Presley Boy) im Großen Preis der OWL Challenge und gewann im Sattel von Camelot (v.Cabachon) den Großen Preis bei den Mauritz Masters und mischte auch in Stuttgart vorne mit. Er ist zurück, auch wenn er nie wirklich weg war, sondern nur einige Zeit bei den ganz großen Springen nicht in der ersten Reihe stand. 

Vor zwanzig Jahren war das anders, da leuchtete sein Stern ganz hell. Den ersten großen Erfolg feierte Kutscher 2004: Der gebürtige Ostfriese sicherte sich mit Montender die Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen in Athen – und sprang auch mit der Mannschaft auf Platz drei, auf das Podium. 2005 setzten Kutscher und Montender noch einen drauf: Das Paar wurde Doppel-Europameister. 

Außerdem bewies Marco Kutscher, dass er auch für Nachwuchspferde ein feines Händchen hat: Gleich dreimal – 2003, 2005 und 2007 – heimste er den Sieg bei den Bundeschampionaten ein. 2010 wurde er Zweiter in der Gesamtwertung der Global Champions Tour und 2011 gehörte Kutscher mit Cornet Obolensky zum siegreichen Team Deutschland bei der Europameisterschaft. 

Das alles ist lange her. Was hat sich im Sport seitdem verändert?

„Ich würde sagen, die Dichte der Reiter, aber auch die Qualität der Reiter. Das hat sich ziemlich verändert mit den Jahren. Das hat was mit dem Trainieren zu tun, dass es viele gute Trainer gibt, und es hat sich grundsätzlich an dem System vieles verändert. Wie viele Reiter weltweit heutzutage in der Lage sind, 5* zu reiten, Nationenpreise zu reiten. Das ist deutlich mehr geworden, als es noch vor 20 Jahren der Fall war“, resümiert der Pferdewirtschaftsmeister.

Ist es heute noch möglich, international ganz oben mitzureiten, wenn man nicht bei Beerbaum, den Stephex Stables oder im Stall Tops ist?  

Marco Kutscher: „Also, ich war damals ja bei Beerbaum. Aber heute wäre so etwas schwierig und es ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Das hat vielerlei Gründe. Das größte Problem ist natürlich die zu geringe Anzahl an Top-Pferden, während die Nachfrage umso größer ist. Es gibt ja viel mehr Reiter als vor 20 Jahren, die auf 5* Niveau reiten weltweit. Das liegt auch an der Globalisierung des Sports, da sind Länder dazugekommen, die so früher gar nicht im Springsport existiert haben. Nehmen wir zum Beispiel China: Die Chinesen haben viele Pferde gekauft und viel in den Reitsport investiert. Wenn sie die finanziellen Mittel haben, die Pferde zu kaufen, dann fehlen die natürlich an anderer Stelle. Das macht es für einen jungen Reiter umso schwerer oder auch für mich, als jetzt nicht mehr ganz so jungen Reiter, Pferde, die auf dem Niveau springen können, noch zu halten. Kaum hat man die ein paarmal auf Turnieren erfolgreich gezeigt, ist das Interesse da. Ist das Angebot hoch, ist es natürlich auch schwer, dies abzulehnen. Dann fehlen diese Pferde. Aber am Ende braucht auch der gute Reiter ein gutes Pferd, um in der Weltspitze erfolgreich zu sein.“

Hältst Du die Weltspitze für Dich nochmal für möglich?

Marco Kutscher: „Eher nicht, nein. Grundsätzlich habe ich auch Spaß daran, Pferde auszubilden und wenn es passt, die dann auch zu verkaufen. Das ist Teil meines Berufs, auch Teil meines Geschäfts, und von daher ergibt es sich ja, wenn sie gut auf dem entsprechenden Niveau springen, dass sie dann auch verkauft werden. Wenn sie mir von einem Besitzer, der sie nicht verkaufen will, zur Verfügung gestellt werden und ich mit denen weiter Sport machen kann, dann hätte ich natürlich nichts dagegen. Aber ich habe in meinem Leben so viel mehr erreicht, als ich mir als Kind und Jugendlicher jemals erträumt hätte, und bin da im Grunde genommen mit mir selbst zufrieden und im Reinen. Meine Laune hängt nicht davon ab, ob ich jetzt nochmal auf 5* Niveau oder in Nationenpreisen oder in Richtung Championat unterwegs bin. Wenn das so wäre, natürlich würde ich es dann auch gerne machen, aber wenn nicht, dann ist das auch ok.“

Aber es macht Dir doch Spaß, oder?

Marco Kutscher: „Spaß macht es mir auf jeden Fall, klar, und wenn man dann gute Pferde hat und kann an dem Sport teilnehmen und ist in der Lage, mal ein Springen zu gewinnen oder vorne mit dabei zu sein, dann macht das natürlich riesen Spaß. Aber das Reiten macht mir ja generell Spaß, auch mit jungen Pferden oder auf einem anderen Niveau. Solang ich eben das Gefühl mit den Pferden habe, dass es sinnvoll ist.“ 

Wer ist Dein Top-Pferd momentan?

Marco Kutscher: „Aventador auf jeden Fall, der ist jetzt gerade kastriert worden. Als Hengst hatte er schon Überehrgeiz und da verspreche ich mir jetzt, dass er vielleicht etwas gelassener ist, was dann auch das Reiten und Arbeiten etwas erleichtert, weil man ihn auch relativ viel arbeiten muss, damit er dann überhaupt ein bisschen gelassen und ruhig ist. Wir haben die Hoden ausgewaschen und da knapp 200 Portionen gesichert, die sind eingefroren worden. Also wenn mal irgendjemand danach fragt und mit ihm züchten möchte, dann ist das nach wie vor möglich, aber er ist jetzt nicht so ein Deckhengst wie Karajan zum Beispiel oder andere Hengste, die ich in meinem Leben geritten habe. Von daher erhoffe ich mir, dass er etwas entspannter wird und dass dann nächstes Jahr alles noch leichter geht.“

Von Deinen Kollegen wirst du gelobt als „weltbester Trainer“, macht Dir das auch Spaß?

Marco Kutscher: „Also ich weiß nicht, wer das gesagt hat und die Welt ist groß. Ich selbst würde mich da nicht in dieser Liga sehen. Klar sieht man noch eine andere Version aus einem anderen Blickwinkel und man ist manchmal vielleicht etwas eingefahren in dem, was man tut und wenn man dann mal eine andere Idee kriegt, hilft das. Grundsätzlich bin ich aber Reiter, Trainer zu sein ist nicht so meins, also ich habe mehr Spaß daran, LKWs zu verkaufen als Leute zu trainieren. Aber ich muss auch sagen, es hängt natürlich immer davon ab, mit wem man trainiert. Ich habe ja in den letzten Jahren unterschiedliche Schüler für einen kürzeren, aber auch längeren Zeitraum gehabt und das hat mit allen dann auch Spaß gemacht. Aktuell ist Marlene bei mir, die mittlere Tochter von Otto und Julia Becker. Da befinden wir uns schon auf einem anderen Niveau. Es macht Spaß zu sehen, wie sie Fortschritte macht und in der ganzen Sache drinsteckt. Sie möchte etwas erreichen und möchte weiterkommen, aber ist jetzt auch nicht verbissen, das macht dann auch Spaß. Es muss jetzt nicht unbedingt ein 5* Reiter sein, wie Mario Stevens, wo es am Ende ja nur um Kleinigkeiten geht, vielleicht nur kleine Tipps und die Sicht von außen. Da ist der Unterricht bei Marlene zum Beispiel ein anderer. Aber wenn ich irgendwann mal nicht mehr reite, dann sage ich nicht, ich gebe mal so richtig Gas als Trainer.“ 

Was macht Dir mehr Spaß, auf 5*-Niveau zu reiten oder junge Pferde auszubilden?

Marco Kutscher: „Beides. Oftmals macht es mit jungen Pferden noch mehr Spaß, weil der Fortschritt schneller ist. Man merkt schneller Ergebnisse und Fortschritte. Bei einem älteren Pferd dauert es schon in der Regel etwas länger. Ein Pferd dahin zu bringen, macht auch einen riesen Spaß, aber am Ende ist für mich entscheidend, dass die Qualität gut ist, dass man als Reiter dann auch die Fortschritte merkt.“

Wie viele Pferde hast Du bei Dir zu Hause?

Marco Kutscher: „Wir haben 26 Boxen, unterm Sattel sind zwischen 15 und 18 Pferden. Da ist vom 4jährigen bis zum älteren Springpferd alles dabei. Ich habe einen Bereiter und dann noch einen jungen Mann, der halbtags mitreitet, aber keine Turniere.“

Was macht für Dich ein richtig gutes Springpferd aus?

Marco Kutscher: „Am Ende ist der Kopf entscheidend. Ich habe viele Pferde schon mit ganz tollen Talenten gehabt, was ihre körperlichen Bedingungen und die Reiteigenschaften betraf, aber andere Pferde, die das nicht hatten, waren dann deutlich erfolgreicher, weil sie einfach mitgemacht haben. Ein Cash war vom Körperbau her sicherlich kein Pferd, das man sich jetzt so aussuchen würde. Der hatte eigentlich viele Baustellen und viele Dinge, die ihm im Weg waren, aber der hatte einfach eine Hammer Einstellung, er wollte das gut machen und war vorsichtig, unheimlich flexibel, obwohl er ein großes und langes Pferd war, war aber im Grunde genommen sehr einfach zu reiten.“

Erkennst Du die Qualitäten eines Pferdes schnell?

Marco Kutscher: „Am Ende finde ich es heraus, wenn ich draufsitze und die Pferde mal ein paar Tage reite. Das versuche ich auch, wenn ich ein Pferd kaufen möchte und mit dem Besitzer oder Züchter ausmache, dass es ein paar Tage zu mir kommt. Da sieht man dann auch mal, wie sie so im Umgang sind, wie das ganze Wesen des Pferdes ist, was auch eine große Rolle spielt. Das kann man dann schon deutlich besser beurteilen, wenn man es ein paar Tage geritten hat, als nur dieser einmalige Eindruck, den man nach einem Probereiten hat.“ 

Welches Pferd Deiner Kollegen würdest Du gerne mal reiten?

Maro Kutscher lacht: „Nehmen wir mal Zineday: Ob ich den jetzt so vorstellen könnte, wie Philipp das kann, ist eine andere Sache, aber mit dem mal einen Sprung machen und schauen, wie es sich anfühlt… Der Sprung sieht schon immer sehr leicht aus – wie eine Feder – und wie dieses Pferd das entwickeln kann und so auch am Oxer die zweite Stange springen kann, das ist schon außergewöhnlich. Da würde es mich schon mal reizen, das Gefühl zu testen, wie der Sprungablauf sind anfühlt.“

Wie hat sich die Turnierlandschaft in den Jahren verändert?

Marco Kutscher: „Dass die Reiter jedes Wochenende unterwegs sind, das war vor 20 Jahren auch schon so. Aber es gab eine ziemliche Explosion der 5* Turniere. Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, in der ich bei Ludger geritten bin, da war ich jede Woche auf einem guten Turnier in den guten Jahren. Trotzdem ist das in den letzten Jahren nochmal mehr geworden, aber was ich ziemlich besorgniserregend finde ist, dass uns im ländlichen Bereich alle Turniere wegfallen und da bin ich mal gespannt, wie sich das so in den nächsten Jahren entwickelt. Zum einen liegt das sicher am Wegbrechen der Sponsoren, aber auch in den Vereinen gibt es immer weniger, die dort ehrenamtlich helfen, die das Turnier mit veranstalten und ohne die es nicht geht. Wenn man dafür jemanden beauftragen muss, ist es für einen Verein nicht möglich, ein Turnier rentabel zu gestalten, und die Leute im Verein werden immer weniger, die überhaupt noch mitarbeiten möchten, weil die Sportreiter da auch so ein bisschen fehlen.“ 

Was denkst Du, woran liegt das?

Marco Kutscher: „Ich glaube, es hat sicherlich auch etwas mit der Kostenexplosion zu tun. Die Unterhaltskosten, die so ein Pferd mit sich bringt, sind dann auch eine Frage des Einkommens. Also man muss schon gut Geld verdienen, um sich überhaupt den Sport als Hobby leisten zu können. Somit sind die Pferde auch teurer geworden. Wenn man jetzt heutzutage ein gutes Pferd hat, das M*/M**/S gut unterwegs ist, das wird dann auch schnell verkauft. Das heißt im Umkehrschluss, wenn man so ein Pferd in Deutschland kaufen möchte, muss man schon tief in die Tasche greifen. Es sei denn, man kann sie sich selbst ausbilden, aber ansonsten ist es wirklich schwer.“

John Whitaker hat die Nachwuchsreiter kritisiert, dass sie den erfahrenen Reitern kaum noch zusehen, um zu lernen, und nur noch aufs Handy starrren…Hat er Recht?

„Ja, auf jeden Fall. Oft konzentriert sich die Jugend nicht mehr auf das Wesentliche. Sie sehen nicht, dass der Reitsport auch ein Fleißsport ist und dass man mit Fleiß und Disziplin sehr viel erreichen kann. Da nützt einem manchmal das größte Talent nichts, wenn man nicht auch ein Stück weit fleißig ist. Man kann in dem Sport viel erreichen, aber man muss natürlich auch bereit sein, sich ein wenig zu quälen. Diese Bereitschaft ist leider oft nicht vorhanden und es wird ihnen dann doch oft zu leicht gemacht.“

Was würdest Du den Nachwuchsreitern raten, die es nach ganz oben schaffen wollen?

Marco Kutscher. „Nehmen wir als Beispiel Richard Vogel. Was der macht, ist außergewöhnlich. Dem gucken wahrscheinlich alle mit offenem Mund zu und bestaunen ihn. Man kann man im Reitsport viel durch Fleiß erreichen. Von daher sollte man immer an sich glauben, immer kritisch sein, sich selbst hinterfragen und versuchen, an sich zu arbeiten und von den Besten zu lernen. Einfach mit offenen Augen durchs Leben gehen, auch mal links und rechts gucken und schauen, auch mal Dinge ausprobieren, denn man kann immer wieder zu dem zurückgehen, was man vorher gemacht hat. Man vergibt sich ja nichts. Wenn man einen Trainer hat, umso besser. Ansonsten kann man sich auch viel erlesen, denn unsere deutsche Reitlehre hat ja ein System, das auch Sinn macht. Das vergessen viele. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich jemandem sage, er soll Schenkelweichen reiten, mit was für großen Augen die mich dann angucken und teilweise nicht wissen, wie es eigentlich geht. Die können dann aber trotzdem über dicke Parcours reiten. Im Grunde genommen kann man bei der Basis anfangen und das dann immer so ein bisschen weiterverfolgen, und wenn man auf dem Turnier immer nur auf hohem Niveau ist und dann mal schaut, wie der eine oder andere Reiter das auf dem Arbeitsplatz so macht, lernt man auch sicherlich dazu.“

Du bist seit Jahren in der Nachwuchsförderung engagiert, zum Beispiel seit rund sieben Jahren als Juror beim Goldenen Sattel dabei. Aber Du selber hast ihn nie gewonnen?

Marco Kutscher schmunzelt: „Nee, da war ich weit davon entfernt. Dafür hat es nie gereicht. Die können da schon echt alle toll reiten. Es ist natürlich nochmal etwas anderes, wenn sie dann auf fremde Pferde kommen, aber es ist ja auch für die jungen Leute eine super Sache, in dieser Atmosphäre zu reiten. Außerdem bin ich bei der Rolex Academy, die vergeben dort Stipendien an Reiter, da bin ich auch einer der Trainer, d.h. da habe ich auch mal junge Reiter aus anderen Ländern bei mir. Zum Beispiel ist der U25-Reiter Thibault Philippaerts mehrfach bei mir gewesen. Das macht Spaß und man lernt auch mal andere Leute kennen. Ansonsten finde ich es halt schwierig, wenn man selbst noch aktiv im Sport ist, dann gleichzeitig Trainer zu sein, das beißt sich dann manchmal im Alltag. Wenn es mal für einen kurzen Zeitraum so ist, dann mach ich das. Aber aktuell könnte ich mir nicht noch vorstellen, mehrere junge Leute bei mir zu haben, die ich gleichzeitig noch betreuen müsste.“

Hat der Reitsport ein zunehmendes Image-Problem? 

Marco Kutscher: „Ich weiß ich jetzt nicht, ob man sich Sorgen machen muss. Grundsätzlich müssen wir transparent sein und wissen, dass man eine Vorbildfunktion hat und sich dementsprechend auch verhalten. Man will ja mit dem Sport die Leute begeistern und das klappt ja auch. Da bietet unser Sport ja auch jedem die Chance, denn es geht immer wieder bei Null los. Wir leben mittlerweile auch in einer anderen Zeit, da hat sich ganz schön viel verändert. Man muss trotzdem zusehen, dass wir unseren Sport weiter verteidigen und wir uns auch nicht in eine Ecke drängen lassen, denn da kommt man irgendwann dann nicht mehr raus.“

Interview: Corinna Philipps